Der Mini-Urlaub bei den Bremers in Grillenberg sollte auch dazu dienen, eine Wanderung in den sagenumwobenen Hörselbergen zu wiederholen, die einfach viel zu weit weg sind von zu Hause. Von Grillenberg sind es aber immer noch 130 Kilometer, sodass wir uns doch schweren Wanderherzens dagegen entschieden, diesen langen Weg auf uns zu nehmen. Die „Nummer Zwei auf der Wunschliste“ waren die Toten Täler bei Freyburg an der Unstrut, die ich vor dem Urlaub zufällig beim Stöbern auf der OpenStreetMap entdeckte. Wir suchten uns den bezüglich des Wetters besten Tag der Woche aus und hofften nach den etwas mühseligen Wanderungen bei Rammelsburg und Goseck das Beste. Parken wollten wir an einem eingezeichneten Parkplatz an der Kreisstraße 2639 zwischen Balgstädt und Größnitz, direkt unterhalb eines alten aufgegebenen Weinberges. Dieser Parkplatz war nicht mehr existent, weil vollkommen überwuchert. Wir klemmten uns in eine kleine Ecke, in der wir niemanden behindern konnten und wagten es trotzdem von dort aus. Wir nahmen den vom ehemaligen Parkplatz ausgehenden Weg und wollten dann auf einen kleinen Weg abbiegen, der über den imposant anzusehenden Alten Weinberg führt. Dieser Weg war komplett verschwunden und das Gelände des ehemaligen Weinbergs komplett abgezäunt.
Nicht verzagen, dachten wir uns und gingen geradeaus weiter, um auf die über uns liegende Hochfläche zu gelangen. Der Weg war am Anfang noch ganz gut, wurde gegen Ende aber immer schlimmer, erst verkrautet, dann auf den letzten hundert Metern komplett zugewachsen. Nach den Erlebnissen bei Rammelburg und Goseck kam uns langsam der Gedanke eines „Urlaubsfluchs“. Aber so ist es nun manchmal, wenn man abseits der ausgetretenen Wege zu wandern versucht und völlig ortsunkundig ist. Nach diesem etwas holperigen Start und der hart erkämpften Ankunft auf der Hochfläche erwartete uns dann allerdings einer der faszinierendsten Tage unseres Wandererlebens…
Achtung: Der Track ist nur eine grobe Vorgabe für einen möglichen Weg durch das Gebiet des Naturschutzgebiets Tote Täler, in dem sich die Flächen des Nationalen Naturerbes Rödel befinden. Die geschossenen Fotos zeigen nur einen Ausschnitt und entsprechen grob dem Wegverlauf, da wir einige davon an diesem Tag nicht selbst gegangen sind. Da ich die von uns gegangene Route so nicht empfehlen kann, habe ich den Track so angepasst, dass man mit weniger bis gar keinen Problemen durch das Gebiet kommen sollte, wobei sich das im Laufe der Jahre natürlich immer mal wieder ändern kann. Dabei sollte man auch immer auf das strikte Wegegebot in dieser schönen Landschaft achten. Die Wege im Track sind zu etwa 75 Prozent von uns gegangen worden, die restlichen konnten von einer oder beiden Seiten eingesehen werden und waren anscheinend gut begehbar. Der Rödel ist komplett mit einem Schutzzaun für die Wildpferde umgeben und kann nur an den in der Karte und teils im Track eingezeichneten Stellen betreten werden. Einige Wege auf der Karte führen nicht zu solchen Toren und sollten (Vernunft) bzw. dürfen deshalb auch nicht begangen werden. Die Durchgänge aus Holz sind recht schmal, so dass ich mich mit meinem großen Plus an Figur sehr schmal machen musste, um hindurchzukommen. Zu guter Letzt: Das gesamte Areal steht aus gutem Grund unter strengem Schutz und hier sind Respekt, Vernunft und Verantwortungsbewusstsein erste Besucherpflicht, besonders gegenüber den Konik-Ponys, zu denen man, wenn man ihnen schon begegnen darf, immer einen großen Mindestabstand einhalten sollte. Alle hier vorkommenden Pflanzen findet man zur Genüge immer wieder direkt am Wegesrand und es ergibt keinen Sinn, für ein Foto oder sonst eine Begehrlichkeit überall in der Gegend herumzutrampeln.
Die Toten Täler und der Rödel
Die Toten Täler und der Rödel
Das 827 Hektar große Naturschutzgebiet Tote Täler liegt südlich von Freyburg an der Unstrut im Unstrut-Triasland. Der Name soll sich von einer uralten, wohl etwas übertrieben dargestellten Begebenheit ableiten, die mit den Überfällen der noch nicht sesshaften Ungarn im 10. Jahrhundert zu tun hat. Mit einer List gelang es Bewohnern der Umgebung, eine Gruppe Magyaren im Bereich der heutigen Toten Täler zu überrumpeln und viele von ihnen zu töten, wobei ihnen ein Unwetter unerwartete Hilfe leistete. Seitdem heißt die Gegend die Totentäler.
Im Gebiet der Toten Täler gibt es verschiedene Waldgesellschaften, in denen man unter anderem Elsbeeren, Steppen-Kirschen und den Speierling finden kann. Daneben gibt es teils große Flächen an Halbtrockenrasen, Trockenrasen und Magerrasen, Streuobstwiesen, Kalkäcker, die Reste alter Weinberge und mehr. Die Toten Täler gelten als eines der orchideenreichsten Gebiete der neuen Bundesländer. Insgesamt sind 25 Orchideenarten nachgewiesen, wie zum Beispiel Purpur-Knabenkraut, Blasses Knabenkraut, Braunrote Stendelwurz, Mücken-Händelwurz, Spinnen-Ragwurz, Bienen-Ragwurz und die Grünliche Waldhyazinthe. Daneben gibt es Vorkommen an Großem Windröschen, Diptam, Tausendgüldenkraut, Kuhschelle und Wundklee.
Das Nationale Naturerbe Rödel ist 182 Hektar groß und stellt das zentrale Muschelkalkplateau des Naturschutzgebietes Tote Täler unter besonderen Schutz. Seit 2018 befindet sich das Gebiet im Eigentum der Naturstiftung David. Seit 2009 werden die Flächen durch eine Herde der Pferderasse Konik und durch Ziegen beweidet und seit 2018 findet in den Waldflächen keine forstwirtschaftliche Nutzung mehr statt.
Die Toten Täler sind kein Abenteuer-Spielplatz, weder für kleine noch für große Menschen. Sie sind eines der wenigen Überbleibsel eines nicht unberührten, nicht natürlich entstandenen, aber faszinierenden Fleckchens Natur unserer Heimat. Nicht nur für diesen Tag und dieses Gebiet gilt eine (indianische) Weisheit, die wir uns alle immer wieder vor Augen und zu Herzen nehmen sollten:
Nimm dir Zeit, den Himmel zu betrachten. Suche nach Gestalten in den Wolken. Höre das Wehen des Windes und berühre das kühle Wasser. Gehe mit leisen und sanften Schritten. Wir sind Eindringlinge, die von einem unendlichen Universum nur für kurze Zeit geduldet werden.
Die Beschreibung ist dieses Mal wegen des langen „Vorwortes“ und weil man das einfach selbst erleben muss, etwas kürzer gehalten. Da wir den Weg sowieso anders gingen und einige erlebnisreiche Wochen ins Land gegangen sind, sind viele Details auch schon wieder verschwunden. Starten kann man also ganz gut auf einem winzigen Parkplatz bei Balgstädt, der eigentlich nur für zwei Fahrzeuge reicht. Von hier aus geht es auf dem Finne-Wanderweg durch die Pflaumenhohle direkt hinaus aus dem Ort. An den Wiesen gehen wir erst einmal geradeaus weiter, vorbei an einer Bank, von der aus man einen schönen Ausblick nach Balgstädt, ins Unstruttal und nach Zscheiplitz hat. Da uns die markante Erscheinung von Zscheiplitz, inmitten von Weinbergen und Obstwiesen gelegen, mehrfach auf der Wanderung anzog, statteten wir dem Ort nach der Tour einen kurzen Besuch ab. Von Panoramaweg an der Klosterkirche und vom Schloss aus hat man ebenfalls herrliche Ausblicke ins Unstruttal. Den Weg hinter der Bank kann ich nicht beschreiben, da wir ihn nicht begangen haben. Es geht auf jeden Fall, wahrscheinlich sehr schön, weiter am Waldrand bis an den Rand von Freyburg, wobei mehrere Aussichtspunkte eingezeichnet sind. Dann geht es auf einem Serpentinenweg hinauf in Richtung Rödel. An der nächsten Gabelung sind wir dann wieder konform mit dem von uns begangenen Weg.
Ein sehr schöner Waldweg und Pfad, auf dem wir erst einmal außen herum den Weg zum Dannert nehmen. Dort erwartet uns zuerst vom Neuenburgblick eine Aussicht nicht nur zum Schloss Neuenburg mit dem Bergfried Dicker Wilhelm, sondern eine tolle Aussicht ins Unstruttal bei Freyburg. Herrlich hier oben, auch wegen der eventuell ersten Graslilienwiese des Tages. Die in unserer Gegend in Südniedersachsen nur selten vorkommende Ästige Graslilie wird heute in den Toten Tälern zu den am häufigsten vorkommenden Pflanzen zählen. Es gibt kaum einen Ort, an dem man sie hier nicht findet. Unglaublich schön. Ebenso gibt es hier im Gebiet andere Massenvorkommen, wie zum Beispiel des Echten Dost oder Oregano, der jetzt im Juli massenweise von Insekten aller Art besucht wird. Nach dem Verlassen des herrlichen Waldes treten wir zum ersten Mal hinaus in die Offenlandschaft des Rödel. Uns erwartet der erste hölzerne Durchgang in das mit einem Elektrozaun umgebene Gebiet. Diese Durchgänge sind nicht gänzlich genormt und wenn man wie ich „ein paar“ Pfunde zu viel drauf hat, kann es selbst quer schon einmal eng werden. Wer es dennoch geschafft hat, den erwartet auf der anderen Seite wunderbare und wanderbare Natur.
Die Landschaft erinnert an andere, ehemalige Standortübungsplätze, wie den ebenfalls als Nationales Naturerbe ausgewiesenen bei uns vor der Haustür. Hier kann man mit etwas Glück, Geduld oder irgendetwas anderem der „Wildpferdherde“ der Koniks begegnen, die sich hier in steiger Wanderschaft befindet. Wir hatten das Glück und werden diese kurze Begegnung lange im Gedächtnis behalten. Die Ponys beachteten uns im Grunde genommen nicht, auch weil wir einen sehr großen Abstand wahrten. Eine Weile grasten sie und fanden sich zusammen, um dann wieder in einzelnen Grüppchen weiterzuziehen. Eine schöne Begegnung. Am Rande des Rödel finden wir auch eine Besucherplattform mit etlichen Infotafeln, die zum Beispiel über Geschichte, Fauna und Flora des Rödel Auskunft geben. Unser Weg führt uns dann weiter am Rand des Gebietes entlang, bis wir durch einen weiteren Durchgang das Nationale Naturerbe Rödel erst einmal verlassen. Wir begeben uns jetzt auf den ausgewiesenen Orchideenpfad, auf dem wir kurz darauf eine Infotafel erreichen, die etliche der 25 vorkommenden, heimischen Orchideenarten vorstellt. Da wir hier schon einige Kilometer in den Beinen hatten und noch einen weiten Weg, gingen wir den fantastischen Weg durch die Wiesen nur ein paar Meter und kürzten dann ab. Wenn wir hoffentlich bald wiederkehren, werden wir den Weg aber wie im Track verzeichnet nehmen. Im Juli ist auf dem Orchideenpfad eh nicht mehr viel los und lediglich zahlreiche verblühte Exemplare einiger Arten sind noch zu entdecken. Aber die Vorkommen müssen gewaltig sein, nach dem, was wir am Wegesrand sahen.
Es geht also durch die spärlich bewachsenen Wiesen etwas ins Tal hinab, dann wieder hinauf, wobei wir einen mehrfachen Wechsel an Wegen durch Waldstücke und über Wiesen haben. Bevor wir auf den Rödel zurückkehren, lohnt sich der kleine Abstecher zu einem Aussichtspunkt. Dieser ist jetzt nicht so gewaltig, aber die Wiesen sind für unsere Breitengrade unglaublich. Wir haben in unserem Leben noch nie so viele Ästige Graslilien gesehen wie hier und wir werden es wohl auch nie wieder. Die Freiflächen sind von tausenden Exemplaren übersät. Wie viele und welche Orchideen hier zur rechten Zeit blühen, vermag ich nicht zu sagen. Am Ende hat man eine Aussicht in Richtung Größnitz. Wer mag, kann den Abstecher noch weiter verlängern, um eine Aussicht auf den beeindruckenden Alten Weinberg und das Hasselbachtal zu erlangen. Da hier alle Wege nahezu unbegehbar sind, müsste man aber den gleichen Weg wieder zurückgehen. Der führt uns wieder in den westlichen Teil des Rödel, wobei wir wieder mehrere der Durchgänge durchqueren müssen. An diesem Tag haben wir wohl so oft wie nie zuvor unsere Backpacks abnehmen und wieder aufsetzen müssen. Auch hier ist es einfach wunderschön und man kann beim Wandeln durch die Landschaft einfach alles genießen, was die Natur, was die Schöpfung für uns in Hülle und Fülle bereithält. Die Luft ist im zentralen Sommer noch voller Düfte, voller Leben, die Wolken, der blaue Himmel, die Ruhe … was will man noch mehr erreichen im Leben? Die Wege sind zahlreich und man kann nach Lust und Laune Abstecher zu den markanten Orten unternehmen, die zum Beispiel auf der OpenStreetMap eingezeichnet sind, solange die Orte und die Wege dorthin noch existieren.
Nach dem zweiten Durchwandern des Rödel kommen wir zuerst zu einer Aussicht in den ehemaligen Steinbruch Flemming, dann können wir ihn durchwandern. Eine raue Schönheit, die langsame Renaturierung eines ehemals militärisch genutzten Geländes, erlesene Natur. Hinter dem Steinbruch geht es dann zurück in den Wald des Rödel, in dem wir zu unserem Einstiegspunkt zurückkehren und uns dann nach links wenden. Ein wieder wunderbarer Waldweg bringt uns jetzt zur letzten Wiese des Tages oberhalb von Balgstädt. Direkt am Waldrand steht ein schöner Bestand des Diptam, der leider schon lange verblüht war. Diese Pflanze wird in den Beschreibungen der Toten Täler so gut wie gar nicht genannt, obwohl sie nun auch nicht gerade häufig anzutreffen ist. Wir kannten bislang nur zwei Orte, an denen sie wächst, wobei man sie in der Gegend zwischen Langenstein und Westerhausen sogar an mehreren Standorten findet. Ebenso findet man auf dieser Wiese im Juli noch ein letztes Mal große Bestände der Ästigen Graslilie und des Echten Dost. Von der Wiese hat man während des Abstiegs in Richtung Balgstädt noch schöne Aussichten auf den Ort selbst, auf das Unstruttal und die Unstrut und auf das auf dem Berg gelegene Zscheiplitz. Da werden die letzten Meter des Tages auch nicht langweilig, sondern lassen ein wenig Wehmut aufkommen, dass ein solch erlebnisreicher Tag leider auch ein Ende finden muss.
Am Ende eines Tages...
Das Gebiet der Toten Täler ist fantastisch. Dass wir dieses als Ortsfremde mehr zufällig entdecken durften, hat uns wirklich ein bemerkenswertes Erlebnis verschafft. Die Beschreibung ist kurz gehalten, da wir den Weg völlig anders gegangen sind und einige Wochen ins Land gezogen sind und man eine solche Pracht nicht annähernd beschreiben kann. Das muss man selbst erleben. Tolle Wege und Pfade, herrliche Wälder, steppenähnliche Freiflächen, Graswiesen, ein Steinbruch, Aussichten, Orchideen und andere seltene Pflanzen, halbwilde Pferde und viele andere Tiere – der Wechsel an Eindrücken ist fast schon erdrückend. Nach diesem Tag waren die verpassten Hörselberge kein Thema mehr. Wenn wir vielleicht nächstes Jahr hier endlich einmal den Karstwanderweg, auf dem wir schon so oft unterwegs waren, zu einer Art Abschluss bringen, ist ein weiterer Besuch der Toten Täler und des Rödel nichts weniger als Heilige Pflicht. Geht behutsam und freundlich durch diese fragile Landschaft, die nicht natürlich ist und eben doch und die hoffentlich noch für viele Generationen bewahrt werden kann.
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