Blick zur Klosterkirche Wittenburg

Blick zur Klosterkirche Wittenburg

Kurz, kürzer, am kürzesten. Im Winter und im Vorfrühling geht es für uns aufgrund der kurzen Tage und des meist etwas durchwachsenen Wetters etwas gechillter zu. Da werden kurze Touren absolviert, die schon länger nicht gewandert wurden oder wie in diesem Fall eine, die wenige Erwartungen weckte. Denn für uns gilt oder galt bislang: Deister, Kleiner Deister, Osterwald = Wechselbad der Gefühle! Etliche Male in den letzten 20 Jahren begaben wir uns in die Wälder zwischen Osterwald und Bad Nenndorf und wurden leider weitestgehend enttäuscht. Das soll nicht heißen, hier wäre alles schrecklich! Die Gegend bietet ein wirklich schönes Landschaftsbild, es gibt zahlreiche schöne Orte und ebenfalls etliche Sehenswürdigkeiten und Ausflugsziele. Wir selbst machen hier mit dem Auto immer mal wieder Touren, suchen uns schöne Pausenplätzchen am Waldrand, besuchen zum Beispiel ab und zu den Saupark bei Springe und gehen hier auch in den Bärlauch oder die Pilze. Nur wenn man sich auf Schusters Rappen begibt und die Wälder als Wanderer betritt, wird es vielerorts haarig. Im Deister waren bei unseren Begehungen der Vergangenheit abseits des Höhenweges viele kleine Wege verschwunden oder unbegehbar. Im Kleinen Deister, weitestgehend als Naturschutzgebiet ausgewiesen, gibt es solche schmalen Wege (auf Karten) erst gar nicht (mehr) und auch der Osterwald präsentiert sich an den meisten Stellen nicht wirklich wanderbarer. An den Rändern der Wälder gibt es sicher noch einige schöne Wege, die wir nicht kennen, Ortskundige mögen noch mehr kennen und vielleicht hat sich in den letzten Jahren auch einiges getan, aber die wirklich kleinen Pfade abseits der breiten Wege zu finden, dürfte hier immer noch schwierig sein.

Auch die hier eingestellte Tour hat im Mittelteil einige Unannehmlichkeiten zu bieten, dafür aber auch einiges, dass uns regelrecht in Erstaunen versetzt hat und unser Bild der Gegend mal wieder in ein etwas gefälligeres Licht gerückt hat. Der Osterwald, man kann es schon auf Satellitenbildern gut erkennen, wird in seinem Zentrum von der Fichte dominiert. Kein Wunder, denn ähnlich wie zum Beispiel im Harz, wurde hier aufgrund bergbaulicher Tätigkeiten in der Vergangenheit der Brotbaum des Bergbaus weitflächig gepflanzt. Lediglich in den Randgebieten hat sich Buchenmischwald erhalten. So auch rund um den schönen und schön gelegenen Ort Osterwald. Leider ist mein Beitrag dazu mit der alten Site untergegangen. Man sollte sich den Bergort mit seinem von kleinen Gassen geprägten Ortskern, dem Hüttenstollen, der Freilichtbühne, dem Antikcafe Zauberquell und mehr durchaus mal in Ruhe ansehen. Auch der von Bad Münder kommende Bergbauweg ist zumindest von Brünnighausen bis Osterwald sehr wanderbar. Aber heute geht es nach Wülfinghausen. Meine Chefin brachte mich darauf, als sie erzählte, dass sie Weihnachten hier in der Kirche war. Da fiel mir ein, dass wir vor Jahren mal im Herbst zwischen dem Kloster Wülfinghausen und der Klosterkirche Wittenburg wandern waren. Die Durststrecke zwischen den Klöstern, entlang einer durchaus stark befahrenen Straße und durch eine recht ereignislose Feldmark, war damals allerdings dermaßen langweilig, dass wir das nie wiederholten. Also einfach mal per OpenStreetMap an den Wald bei Wülfinghausen herangepirscht und siehe da, es gibt doch einige schmale Linien, an denen es anscheinend auch so etwas wie Felswände oder Klippen gibt. Flugs war die Route geplant und als Termin die erste Tour des neuen Jahres angesetzt.

Am Weißen Stein

Am Weißen Stein

Los geht es auf dem recht geräumigen Parkplatz am Kloster Wülfinghausen, für den es keine wirkliche Alternative gibt. Das Kloster mit dem Klostergut, der Mauer, dem Friedhof, der Allee und dem nahegelegenen Café ist ein recht beliebtes Ausflugsziel. Als wir wieder zurückkamen, war der Parkplatz voll und auch die umliegenden Grünflächen wurden bereits von Automobilisten genutzt. Das Kloster selbst, das niemals zu überregionalem Einfluss gelangte, entstand 1236 als Augustiner-Chorfrauenstift und wurde nach der Säkularisierung 1593 in ein Frauenstift für alleinstehende evangelische Frauen umgewandelt. Eine sehenswerte Anlage, die zu einer kurzen Erkundung einlädt. Dann geht es hinauf zum Friedhof des Klosters mit kleiner Backsteinkapelle und parkähnlichem Charakter. Gerade bei Wanderungen denke ich an solchen Orten immer an die Menschen, die vergangen sind und vielleicht ebenfalls gerne hier in den Wäldern wanderten und denen wir irgendwann folgen werden. Aber das ist nicht heute. An der Friedhofsmauer geht es zur Klostermauer hinauf, an der wir uns gen Süden wenden. Nach wenigen hundert Metern auf einem netten Forstweg erreichen wir das Ende der Mauer und haben auf den nächsten Metern schöne Ausblicke auf das Klostergelände und die Umgebung. In Richtung Osten erkennt man die Klosterkirche Wittenburg an der Finie, dahinter den Hildesheimer Wald. Die Klosterkirche und die Landschaft an der Finie sind ebenfalls einen Besuch wert, wenngleich die Gegend durch den Verlust des Scheunencafes und Heuhotels Wittenburg und die Schließung der herrlichen Waldgaststätte an der Kendelke leider sehr viel „touristisches Potenzial“ eingebüßt hat.

Alles geht irgendwann über den Deister

Auch wenn wir nur im an den Kleinen Deister angrenzenden Osterwald unterwegs sind, soll hier auf einen in unserem Raum immer noch gebräuchlichen Ausspruch eingegangen werden, da wir ja nicht wissen, wann wir das nächste Mal „in den Deister gehen“. Warum man sagt, dass jemand oder etwas „über den Deister geht“ bzw. über den Deister ist oder auch über den Deister geschickt werden sollte, kann heute nicht mehr hinlänglich geklärt werden. Es bedeutet je nach Anwendung, dass zum Beispiel jemand gestorben ist, jemand weggezogen ist, dass man jemanden dahin wünscht, „wo der Pfeffer wächst“ oder auch, dass jemand es geschafft hat, wieder gesund geworden ist. Damit ist der Ausspruch wohl eher nicht mit dem bekannteren „über den Jordan“ gleichzusetzen. Plausibel klingen viele Vermutungen…

  • Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wanderten viele Menschen aus dem westlich des Deister liegenden, ländlichen Gebieten der Grafschaft Schaumburg in die prosperierende Großstadt Hannover, um dort Arbeit und Auskommen zu finden. Zwischen den Gebieten liegt der Deister als natürliches Hindernis.
  • Im Gegenzug sollen viele verschuldete Großstädter in die Grafschaft geflüchtet sein, um ihren Gläubigern zu entgehen.
  • Es war auch im Königreich Hannover nicht unüblich, dass junge Männer vom Landesherren zur Auffüllung des immer leeren Staatssäckels als Söldner an andere Staaten, wie zum Beispiel Großbritannien, verpachtet wurden. Darum entzogen sich potenzielle Opfer dieser Willkür oft durch Flucht über den Deister in das benachbarte Königreich Preußen.
  • An der „Alten Taufe“, einem markanten Felsblock im Deister, soll es eine vorchristliche Opferstätte gegeben haben. Archäologische Nachweise über ein Heiligtum und/oder Menschenopfer gibt es allerdings nicht.
  • Die Bewohner der Ortschaft Nienstedt am südwestlichen Rand des Deister besaßen lange Zeit keinen eigenen Friedhof und mussten ihre Toten deshalb über den Deister in das am nordöstlichen Rand gelegene Barsinghausen bringen.

Was nun auch immer zu dem Ausspruch „Über den Deister“ geführt haben mag, gut das er sich über die Jahrhunderte erhalten hat und nicht wie vieles anderes für immer verloren gegangen ist.

Hangpfad am Ritterkreuz

Hangpfad am Ritterkreuz

Wir erreichen den ersten schmalen Pfad des Tages, der bei unserem Besuch schon etwas in Mitleidenschaft gezogen, aber noch begehbar war. Sollte das mal nicht der Fall sein, kann man auch den etwas breiteren Forstweg weitergehen. Auf den gelangt man sowieso unvermeidlich. Er ist breit, führt aber durch freundlichen Buchenmischwald, wird noch breiter und mündet in eine große Terminatoren-Wendeschleife. Danach biegen wir auf den schmalen Pfad ab, der uns mit Rampen-Niveau zum Weißen Stein führt. Die hannoverschen Sektionen des Gebirgsvereins und des Alpenvereins haben den Wegverfall in diesem Gebiet schon vor langen Jahren bemängelt und es ist nicht besser geworden. Wanderer werden immer mehr auf „Autobahnen“ geleitet und die wanderbaren kleinen Pfade, aus denen man auch touristisches Kapital schlagen könnte oder zumindest den Anwohnern Naherholung bieten könnte, verschwinden zusehends. Auch hier ist es lediglich der Anstieg vom Steinbruch, der noch wirkliche Attraktivität besitzt. Vom Weißen Stein, einem Platz an einer ungesicherten, steil abfallenden Felswand, hat man dann dafür einen prächtigen Ausblick in die weitere Umgebung. Links am Rand der Wahrnehmung der aufgelassene Steinbruch, rechts daneben im Hintergrund der Marienberg mit dem Schloss Marienburg und die Finie mit Wittenburg und der gleichnamigen Klosterkirche. Rechts erstreckt sich der Hildesheimer Wald und davor liegen die Hügel und Felder des Leineberglandes. Das hatten wir hier im Kleinen Deister so nicht erwartet, wenngleich die Felswand auf Online-Karten deutlich markiert ist. Hinter dem Weißen Stein wird es dann allerdings sehr schnell wieder zünftig. Dass es hier einst schlanke Wege gegeben haben muss, kann man an manchen Stellen noch erkennen. Die an kindliche Unbedarftheit erinnernden menschlichen Eingriffe in die natürlichen Vorgänge haben allerdings dazu geführt, dass es hier oben recht wüst aussieht.

Es wurde falsch angebaut, falsch gewirtschaftet und auf die daraus resultierenden Reaktionen der Natur falsch reagiert. Wir gehen also durch einen Wald im Wandel, dem dieser von den Waldnutznießern wohl eher nur mit deutlich hörbarem Zähneknirschen zugestanden wird. Trotz der teils zerpflügten Wege, dem teils verwüsteten Waldbild, hat der Weg bis zum Treppenweg auch durchaus seine Reize. Jetzt sind wir auf dem nahezu uneingeschränkt „schicken“ Teilabschnitt des Tages. Anfangs geht es noch auf einem nicht allzu breiten Weg durch den gepflegt erscheinenden Wald, am Ritterkreuz biegen wir dann auf einen höchst wanderbaren Hangpfad ab, wie er schöner nicht sein könnte. Das ist ein Weg, den ich stundenlang gehen könnte und der prädestiniert ist für den hoffentlich bald erscheinenden Frühling. Er ist so schmal und etwas abschüssig, dass wir bei der feuchten Januarwitterung schon bei jedem Schritt genau hinsehen mussten. Herrlich! Wieder etwas beschwingter nach dem Höhenerlebnis gelangen wir per Abstecher zur Königskanzel, die zwar nur einen eingeschränkten Ausblick ermöglicht, dafür aber von knorrigen alten Buchenveteranen bewohnt wird. Die auf dem Gestein anliegenden Wurzeln sind immer ein schöner Anblick und ein Beweis für die unbändige Kraft der Natur, die sich selbst von widrigsten Umständen nicht hindern lässt. Auch auf dem weiteren Weg, immer mehr oder weniger nah an den Felskanten des nun folgenden, imposanten Klippenzugs, begegnen uns immer wieder herausstechende Exemplare verschiedener Baumarten. Das macht jetzt einfach richtig Bock und belohnt für die teilweise schon verblassende Mühsal der ersten Hälfte. Von unserem Weg aus ist von der Barenburg ist im Gelände nicht viel bzw. nichts erkennbar. Auf dem Gelände ist massiv entwaldet worden, vielleicht soll es ja eine bislang nicht erfolgte archäologische Grabung geben. Die 5,5 Hektar große Wallburganlage soll aus der vorrömischen Eisenzeit stammen und ist bis ins Mittelalter als Fliehburg genutzt worden.

Noch ein uriger Pfad

Noch ein uriger Pfad

Der Weg bleibt super, es gibt kleinere Ausblicke oder eher Durchsichten und knorrige Bäume am Wegesrand. Am Ende des Klippenzugs wird es linker Hand felsiger. Hier an der Abbruchkante gibt es imposante Einstürze und Abbrüche. Von einer letzten Aussicht blickt man über Eldagsen ins südliche Calenberger Land. Der von uns gewählte Weg, der auch im Track zu finden ist, führt direkt hinter den letzten Felsen an den Klippen hinunter und sollte nur mit entsprechender Trittsicherheit und bei entsprechender Witterung begangen werden. Alternativ kann man dem anderen Weg zur Ritterkreuzstraße folgen. Hoffentlich heil und sauber unten angekommen, erwartet uns nach den Überraschungen der letzten Kilometer noch eine botanische Rarität. Die wirklich unerwartet beeindruckend vor uns aufragende Felswand beheimatet einen Massenbestand des Hirschzungenfarns. Entdecken durften wir ihn schon an etlichen Stellen, zum Beispiel am Ith, am Selter oder auch in Erdfällen am Karstwanderweg, aber mehrere hundert Exemplare an einem steilen Berghang, das ist ein toller Anblick, eine schöne Begegnung in unseren Breiten. So gehen wir hoffentlich letztendlich befriedigt von hier aus auf der Pionierstraße zurück, dann auf der Ritterkreuzstraße und der Waldkaterstraße, die allesamt weitestgehend nicht asphaltiert sind. Im Café Waldkater kann man den Tag mit einer Einkehr mit Aussicht auf die Umgebung des Klosters Wülfinghausen abschließen. Zum Kloster und zu unserem Ausgangspunkt führt uns dann am Ende eine kurze, aber schöne Kopfeschenallee.

Am Ende eines Tages...

Ein Wechselbad der Gefühle mit einem gefühlten Happy End. Es wird hierzulande und heutzutage schwieriger, abseits der modernen Wege kleine und urige Pfade zu finden. Deister, Kleiner Deister und Osterwald stehen da beispielhaft für die Natur des Menschen, die ihn anscheinend denken lässt, er bräuchte seine Wiege nicht mehr oder könne sie gar nach seinem Gutdünken gestalten. Es scheint so, als hätte die Schöpfung allerdings Mechanismen, um sich gegen solche Arroganz und Ignoranz zu wehren und in den letzten Jahren, Jahrzehnten bekommen wir vermehrt was auf die Finger. Hoffen wir, dass wir nicht letztendlich als Menschheit über den Deister gehen müssen. Viel Spaß im gerade jetzt frühlingshaft werdenden Kleinen Deister und Osterwald…

Letzte Beiträge aus dem Landkreis