Es hat ein bisschen gedauert, bis ich mich durchgerungen hatte, diese Tour als Beitrag einzustellen und nicht unter dem Motto „Unwanderbar!“. Aber man soll ja nicht immer nur die eigenen Maßstäbe ansetzen, die vielleicht manchmal auch schon etwas überzogen sind. Dem ersten und letzten Drittel der Wanderung kann man alle möglichen Prädikate anhängen, aber garantiert nicht, dass sie unspannend wären. Der mittlere Teil gehört zu den Strecken, die wir weitestgehend versuchen zu meiden, ist aber auch nicht allzu übel. Völlig unwanderbar wäre dann doch eher eine gepflegte Harvester-Schlammsuhle durch einen monotonen Linieninfanterie-Fichtenforst. Das ist hier nicht der Fall, sondern halt nur ein mehrere Kilometer langer, befestigter Waldweg mit stetig gleichem Anstieg. Die Highlights in Sachen Natur und Kultur, die uns der Rest des Weges zu bieten hat, sind aber durchaus erlebenswert. Eine Empfehlung für Wolfshagen ist allerdings eher die letzte Wanderung durch die wunderbaren, den ganzen Ort umgebenden Offenlandschaften. In den Wäldern rund um Seesen haben wir leider noch keinen durchgehenden Weg gefunden, der einen Beitrag lohnen würde. Der Ort selbst bietet aber schon einiges, das einen Besuch durchaus lohnt. Ich hoffe, dass ich bald einmal dazu komme, die Wanderung zwischen dem Schildautal und dem Schildberg wieder einzustellen. Egal wie, wo, wann und warum, es geht los in Wolfshagen – oder in Seesen. Historisch korrekt folgt man den Spuren der Familie Steinweg / Steinway allerdings von Wolfshagen aus, da sie hier ihre Wurzeln hatte und Seesen dann das Sprungbrett in die Neue Welt war. Mit dem ÖPNV ist die Abreise aus Seesen eventuell auch günstiger, da hier regelmäßiger Züge fahren als Busse aus Wolfshagen.

Blick von der Steilen Wiese

Blick von der Steilen Wiese

Wir starten in der netten Ortsmitte des Ortes und gehen erst einmal schnurstracks zum Ausgangspunkt des „Steinway-Trails“ an der Festhalle Wolfshagen. Allzu viel hergemacht wurde hier nicht, muss ja auch nicht sein. Nette Plätzchen für eine erste Pause gibt es schon wenige Meter nach dem Verlassen des Weichbilds des Ortes. Vorbei an einer historischen Köhlerei geht es zum Waldrand. Dieser Platz erinnert daran, dass Wolfshagen im Mittelalter wie viele andere Orte des Harzes als Waldarbeitersiedlung gedieh. Hier wurde Holz zu Kohle verarbeitet und anderweitig zum Beispiel für den prosperierenden Bergbau zur Verfügung gestellt. Auch die Weidewirtschaft, die verantwortlich ist für die heute noch so schön anzuschauende Landschaft, entstand im Zuge dessen. Am Waldrand wenden wir uns nach links und folgen erst einmal dem Naturlehrpfad, um den sich der wunderbar umtriebige Harzklub-Zweigverein Wolfshagen kümmert. Dieser Abschnitt hat mit schönen Wegen durch einen freundlichen Wald mit teils altem Baumbestand, einigen Aussichten, Bänken, Rastplätzen und Informationen, jede Menge Erlebnisreiches. Zur rechten Zeit stehen, laufen, liegen, grasen und kauen auf den Wiesen entlang des Weges freundliche Wiesenbewohner, wie Pferde, Schafe oder auch mal das Harzer Rote Höhenvieh. Dieses war vor wenigen Jahrzehnten, wie viele andere Rassen des Rotviehs, in Deutschland fast ausgestorben, findet aber heute aber wieder zunehmend Verwendung als Landschaftspfleger und als Milch- und Fleischlieferant.

Zur Geschichte, zum kurz angerissenen, steinigen Weg der wohl bekanntesten aller Musikinstrumentenbauer-Familien des Planeten, siehe die Flipbox weiter unten. Ausreichende Informationen gibt es auf den Infotafeln am Wegesrand, so auch an der Steilen Wiese, die wir auf schönen Wegen erreichen. Außerdem gibt es hier eine Schutzhütte mit Bänken und eine tolle Aussicht auf die umliegenden Wiesen, Weiden und Wälder. Durch einen Fichtenforst wandern wir zum Weidegebiet am Wittenberg, auf dem man häufig auf friedliche und freundliche Bewohner trifft. Bei unserem Besuch waren das einige naturgemäß dichtgedrängt unter einem Baum Schatten suchende Schafe und ein stolz (oder neugierig) auftretendes Lama, das wir mit nötigem Respekt und vor allem Abstand umrundeten. Nach diesem schönen Anblick wird es auf dem Wittenbergweg etwas durchwachsen. Hier kann man auch schon sehen, dass einem als „Genusswanderer“ oft nicht viele Wege offenstehen. Der Wittenbergweg ist da gar nicht so übel, halt nur etwas zu befestigt und etwas zu breit. Allzu viel Spannendes abseits des schönen Waldes gibt es hier nicht zu sehen, aber man kann zumindest zügig voranschreiten. An einem Hang, an dem Gestein offengelegt ist, könnte man aus der Entfernung meinen, der Hang wäre mit Rindenmulch bedeckt. Es handelt sich aber um Gesteinssplitter, die ein Geologe wohl genauer bestimmten könnte.

Der steinige Weg der Familie Steinway

Der steinige Weg der Familie Steinway

  • 1797 wurde Heinrich Engelhard Steinweg als Sohn eines Köhlers geboren. Seine Eltern und seine Geschwister starben bereits früh, er wurde als Armenkind der Gemeinde großgezogen. 1812 begann Steinweg eine Tischlerlehre
  • Von 1814 bis 1822 diente Steinweg in der „Schwarzen Schar“ gegen Napoleon und die französische Besatzung in Deutschland. Danach machte er eine Ausbildung zum Kunsttischler und arbeitete als Tischler und später als Orgelbauer in Goslar
  • 1825 siedelte Steinweg nach Seesen um, heiratete seine Frau Juliane Thiemer, mit der er zehn Kinder zeugte und machte sich als Schreiner selbständig. Nebenberuflich baute er verschiedene Musikinstrumente, wobei er sich selbst fortbildete und sich auf Pianos zu spezialisieren begann
  • Aufgrund der schwierigen persönlichen, politischen und wirtschaftlichen Lage, beschloss Steinweg 1849 in die USA auszuwandern. Nachdem sein Sohn Karl, der vor gereist war, die wirtschaftliche Lage in den Vereinigten Staaten als günstig beschrieb, zog der Großteil der Familie 1850 nach New York
  • Bis zur Selbständigkeit 1853 arbeiten die Steinways in verschiedenen Klavierfabriken, auch um den Markt zu sondieren. Umbenennung der Familie in Steinway
  • Danach erfolgte ein rasanter Aufstieg zur Firma von Weltruhm, der seinesgleichen sucht
  • In den 1860er Jahren zog sich Heinrich Engelhard Steinweg immer mehr aus den Geschäften zurück und starb schließlich 1871

Wir entschieden uns für den Weg über die Mandolinenhütte. Wer den steilen Abstieg von dort vermeiden möchte, kann vorher ausgeschildert abbiegen. An der Mandolinenhütte eine Schutzhütte mit Rastplatz und ein Aussichtsplätzchen mit Bank. Dann erfolgt, allerdings auch wieder auf bevorzugt schmalem Weg, der Abstieg ins Innerstetal, wo dann Asphalt auf uns wartet. Auf dem Innerste-Radweg (die 66 gesehen?) überqueren wir einen der interessantesten Flüsse Niedersachsens, der an dieser Stelle trotz des ganzen Stahls und Betons drumherum, irgendwie noch ein wenig wilde Romantik versprüht. Über die Straße geht es zu einem Rastplatz, der so ziemlich die letzte Möglichkeit vor der Tränkebachhütte darstellt, sich auszuruhen. Danach geht es auf einem gleichförmig festen, breiten und ansteigenden Weg mehrere Kilometer hinauf. Das ist nicht wirklich schön, aber auch nicht so schlimm und vor allem auf diesem Weg nicht zu vermeiden. Zum Beispiel auf der OpenStreetMap sieht man, dass es einfach keine Möglichkeit gibt, hier abzukürzen oder einen anderen Weg zu nehmen. Selbst einfach gerade durch den Wald wäre es nicht wesentlich kürzer. Also Augen auf und durch. Wenn man keine Pause macht, dürfte man oben angekommen durchaus etwas aus der Puste sein. Noch ein paar Schritte sind es zur Tränkebachhütte, wo man auf einer der vielen Bänke verschnaufen kann. Eine schmale Aussicht ins westliche Harzvorland präsentiert dem Ortsunkundigen keine Landmarke, die der Orientierung dienen könnte. Nach der Hütte wird es wieder wesentlich freundlicher und hinter der Tränkebachquelle steigen wir in das erstaunlich tief eingeschnittene Bachtal ein. Das ist ein verdammt netter Trail das Tränkebachtal hinab. Bei feuchtem Wetter ist es eventuell sogar ein wenig gefährlich auf dem schmalen Pfad im tief eingekerbten Tälchen. Im mittleren Bereich des Abstiegs ins Schildautal finden sich einige Bergbaurelikte, wie eine alte Pinge und eine Abraumhalde. Ob sich ein Abstecher zur Hausschildburg lohnt, muss jeder selbst wissen. Von der mittelalterlichen Höhenburg, eventuell bereits im 11. Jahrhundert errichtet und vermutlich im Dreißigjährigen Krieg zerstört, sind nur die Grundmauern verschiedener Gebäudeteile vorhanden.

Aussicht an der Mandolinenhuette

Aussicht an der Mandolinenhuette

Weiter geht es hinab zu einer Furt am Zusammenfluss von Tränkebach und Schildau. Dann über die Straße und mehrfach über die Schildau. Jetzt muss ich peinlicherweise gestehen, dass mich die Erinnerung verlassen hat, an welcher Stelle eine marode Brücke gesperrt war und wir uns mit ein wenig Gekrabbel und einem beherzten Sprung behelfen mussten. Es dürfte aber die in der Karte eingezeichnete Brücke sein. Wer also bei hohem Wasserstand hier wandert, könnte in arge Schwierigkeiten kommen. Denn alternativ kann man nur an der Straße laufen oder einen weiten Umweg um die Klinik nehmen. Hoffen wir, dass hier bald etwas geschieht. Die kurze Strecke im Schildautal ist trotz der parallel verlaufenden Straße sehr schön. Ein schmaler Pfad führt direkt am Flüsschen entlang nach Seesen. Ein Weg zum Genießen, der uns direkt zum kultigen „Kiosk am Kurpark“ bringt und in den Steinway-Park. Den Kiosk wird es wohl hoffentlich erst nicht mehr geben, wenn es Seesen nicht mehr gibt. Wir waren zwar etliche Jahre nicht mehr hier, aber das Teil muss es einfach noch geben. Die Familie Steinway vergaß ihre „Heimatstadt“ nicht. Wilhelm Steinway stattete auf seinen Reisen nach Europa auch immer mal wieder Seesen einen Besuch ab und engagierte sich finanziell. Er unterstützte Vereine, die Schule und die Fürsorge. Als Ende des 19. Jahrhunderts ein Kurpark eingerichtet werden sollte, beteiligte er sich zur Hälfte an den dafür nötigen Geldern. Ihm zu Ehren wurde der Park dann auch Steinway-Kurpark genannt. Ein schönes Gelände mit Teichen, altem Baumbestand und vielen netten Plätzchen, um die Wanderung zu beschließen. Für Autofahrer gibt es den günstig gelegenen Parkplatz, die Nutzer des ÖPNV können versuchen, den Bus zum Bahnhof zu erwischen. Wer zu Fuß gehen muss oder will, kann noch eine ganze Zeit an der Schildau angenehm weiterlaufen und geht dann ein paar hundert Meter durch die Stadt zum Bahnhof. Ist noch etwas Zeit, lohnt ein Abstecher zur Burg Sehusa, um dann auf dem Weg zum Bahnhof ein paar Straßen der Altstadt mitzunehmen.

Am Ende eines Tages...

Das war im Mittelstück durchwachsen und für Naturpuristen auch nicht so das Gelbe vom Ei. Aber mal ganz ehrlich: In Deutschland gibt es Natur pur eh nicht wirklich und es ist die Verbindung von Natur und Kultur, die auch das Wandern in diesem Ländchen zu etwas Besonderem macht. Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich. Was du nicht erlernt hast, das kannst du dir erwandern, um mal wieder Goethes weise Worte loszuwerden, die aber durchaus Sinn machen. Das war keine Wanderung, die wir in dieser Form alle Tage wieder machen müssen, aber es war alles in allem ein zumindest wanderbares Erlebnis…

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