Am Bismarckturm

Am Bismarckturm

Selbsteinsicht ist der erste Schritt zur Besserung! Wenngleich diese Worte, von meiner Mutter oft ausgesprochen, damals bewusst ungehört verhallten, haben sie sich wohl unterbewusst festgesetzt und sind heute ein dauerhafter Wegweiser. Die Asse besuchten wir vor etwa 15 bis 20 Jahren das erste und bislang einzige Mal zu einem langen Spaziergang um die vermeintlichen Hauptsehenswürdigkeiten von Bismarckturm und Asseburg. Wir mussten damals wegen eines aufziehenden Gewitters abbrechen und wegen eines heute nicht mehr vollständig erklärbaren Sachverhaltes ist mir dieser Besuch immer in etwas schlechter Erinnerung geblieben. Die Versuche meiner Besten, alle paar Jahre mal die Asse ins Spiel zu bringen, scheiterten an meiner vehementen Weigerung und Ignoranz. Als wir jetzt nach Jahren der Abstinenz wieder einen fahrbaren Untersatz unser Eigen nennen durften, passierte es, dass wir unabsichtlich auf einer Erkundungstour in lange nicht gesehene Gegenden, am Endlager Asse II eine Pause einlegten. Ein kleiner Pfad führte parallel zur Straße in den Wald und als wir wieder zu Hause waren, arbeitete ich eine Tour aus, die man ja mal machen könne, wenn man denn gerade mal nichts Besseres im Sinn hätte. Man ahnt schon, wie es dann kam. Am Ende der Wanderung, die auf etliche herrliche Touren des Jahres folgte, waren wir wirklich geflasht, obwohl wir am Ende sogar abbrechen mussten, weil – Ironie des Schicksals – wieder ein Gewitter aufzog. Da musste ich schon schmunzeln ob der eigenen Blödheit, die mich wohl bis zum Lebensende nicht verlassen wird.

Ähnlich wie der weiter südlich gelegene Harly, ist die Asse ein recht kleiner Höhenzug, der für eine einzige ausgedehnte Wanderung prädestiniert ist und etliches an Natur und Kultur zu bieten hat. Überregional bekannt ist er wohl eher für das Atom-Endlager Asse II, dem wir heute auch begegnen werden. Ich stehe da ein bisschen zwischen den Stühlen, was bei mir nahezu immer der Fall zu sein scheint. Ich verdamme die Kernkraft nicht grundsätzlich, da sie sich weiterentwickelt hat und auch viele Vorteile bietet. Gleichzeitig bin ich mir natürlich auch der Gefahren bewusst, die mit dem Betrieb solcher Anlagen und mit der Entsorgung der Abfälle zusammenhängen, vor allem, wenn man das Ganze in die Hände der Privatwirtschaft übergibt. Als Wanderer und Natur- und Landschaftsliebhaber in einem Land, das nahezu keine unberührte Natur mehr besitzt, bin ich aber ebenso wenig ein Freund der Verschandelung der Landschaft durch die erneuerbaren Energien. Schauen wir ein paar Jahrzehnte bis Jahrhunderte in die Vergangenheit, gibt es jede Menge Irrwege, die der Mensch in der Gewissheit gegangen ist, das Richtige zu tun. Nachfolgende Generationen werden den Daumen heben oder senken ob unserer Vorgehensweise. So, jetzt aber erstmal los von dem recht geräumigen Parkplatz am Waldhaus Asse, am ehemaligen Schacht Asse I gelegen. Das Waldhaus wird momentan wohl restauriert und soll demnächst wieder seine Pforten öffnen. Direkt am Parkplatz bekommt man die ersten Infotafeln des Vereins “aufpASSEn”, der 2003 aus mehreren bestehenden Initiativen gegründet wurde. Wer öfter hier in der näheren und auch weiteren Umgebung unterwegs ist, dem wird bestimmt irgendwo einer der gut sichtbaren gelben Buchstaben A aufgefallen sein. Aufpassen ist immer gut und das werden wir heute auch, wenn wir auf dem Höhenzug der Asse wandern gehen.

Am Festberg

Am Festberg

Mit der Liebesallee, einer langgezogenen Baumreihe mit Schneitel-Hainbuchen, fängt das auch gleich richtig schön an. Einst dienten die Bäume zur “Laubheugewinnung” oder als Flaniermeile für mehr oder weniger Heiratswillige, heute können wir hier aus Jux und Dollerei entlang schreiten. Der sehenswerte und gut positionierte Wittmarer Bismarckturm auf der Asse sieht dem von Hildesheim und auch anderen Exemplaren zum Verwechseln ähnlich, was sich aber erklären lässt. Seit 1868 wurden dem späteren Reichskanzler Bismarck zu Ehren bereits Denkmäler gesetzt. Nach dessen Tod 1898 gewann der Architekt Wilhelm Kreis mit seinem Entwurf “Götterdämmerung” eine Ausschreibung der Deutschen Studentenschaft für weitere Bismarcktürme und bis 1911 wurden dann mehrere Dutzend davon dann nach seinem Entwurf errichtet. Wegen der momentanen “Staatskrise” kann der Turm nicht bestiegen werden, die Aussicht von unten ist aber schon weitreichend genug. Die hat man ein paar Meter hinter dem Turm an einem kleinen Magerrasenhang, der zur rechten Zeit wohl einige botanische Besonderheiten zu bieten hat. Der Blick reicht von hier aus weit in die westlich der Asse gelegenen Ebenen, über Wittmar bis zum Harz mit dem für “nordische” Verhältnisse majestätisch daherkommenden Brocken. Am Hang standen bei unserem Besuch viele Exemplare des Wiesen-Salbei, fotografieren ließ sich wegen starken Winds kein einziges von ihnen. Weiter geht es dann zur Asseburg beziehungsweise zu ihren Überresten. Im recht weiten Kreis um die Burgruine herum fallen die vielen Holundersträucher auf, die man mitten im Wald selten in solcher Zahl antrifft und die gerade in vollster Blüte standen. Sonnenschein, ein wenig Aromatherapie und eine Burg erobern, was will man mehr? Die Reste sind mittlerweile ganz gut freigelegt und so sind weite Teile der Anlage frei begehbar und erlebbar. Etliche Mauerreste, ein Tor, ein Turmfundament, Teile des Zwingers und mehr gibt es zu erleben, bevor wir vom Asseburgberg absteigen.

Ein netter Weg, dazu netter Wald, leichten Schrittes geht es hinab zum Sportplatz des MTV Groß Denkte. Links neben uns die Gleise einer Teilstrecke der ehemaligen Braunschweig-Schöninger Eisenbahn, auf der nach einer Verlängerung der eigentlich stillgelegten Strecke in den 1970er Jahren der Atommüll zum Schacht Asse II transportiert wurde. Heute verkehren hier noch die historischen Züge des Assebummlers bis zum Bahnhof Wittmar. Am Rand des Vorderen Eichbergs entlang schrauben wir uns erst einmal hinauf zum Hang des Festberges. Wieso geht es hier überhaupt rauf und runter? Der Höhenzug der Asse besteht nicht, wie man aus der Entfernung vermuten könnte, aus einem Bergrücken, sondern gleich aus dreien. Der südwestliche Teil zieht sich vom Asseburgberg bis zum Heeseberg, der mittlere, den wir heute nahezu komplett umgehen, von den Eichbergen bis zum Watzeberg und der nordöstliche Teil besteht weitestgehend aus dem langgestreckten Festberg. Wir bewegen uns heute weitestgehend im ersten und dritten Teil.

 

Die Asseburg

Die Asseburg

  • Zwischen 1218 und 1223 wurde die Asseburg als Ganerbenburg von Gunzelin von Wolfenbüttel, seinem Sohn Burchard und anderen Adligen erbaut. Die Asseburg war damals die größte Höhenburg Norddeutschlands und galt durch ihre Lage und ihre gewaltigen und modernen Verteidigungsanlagen als uneinnehmbar. Sie erstreckte sich in fünf voneinander getrennten Abschnitten über eine Fläche von über 7.000 Quadratmetern und besaß drei Türme.
  • 1254 begann Albrecht der Große, Herzog von Braunschweig-Lüneburg, die Burg, die von Gunzelins Sohn Burchard verteidigt wurde, zu belagern. Die Belagerung dauerte drei Jahre und am Ende kam es zu einer Einigung. Burchard zahlte 400 Goldmark und bekam freien Abzug mit seinen Mannen.
  • 1330/31 wurde die Burg wegen finanzieller Nöte als Pfandbesitz der Stadt Braunschweig übergeben.
  • 1492 forderte der Braunschweiger Herzog Heinrich der Ältere die Burg von der Stadt zurück, die sich weigerte. Heinrich zog deshalb gen Braunschweig, das den größten Teil der Burgbesatzung in die Stadt beordert hatte. Da eine Eroberung der Burg drohte und die kleine Burgbesatzung sie nicht hätte verteidigen können, wurde sie angezündet und verlassen. In einem Vergleich, in dem der Streit zwischen dem Herzog und der Stadt endete, verpflichtete Braunschweig sich, die Burg innerhalb von sechs Jahren wieder aufzubauen, was aber nie geschah.
  • Seit 1492 ist die Asseburg eine Ruine, die aufgrund von Verwitterung, Verfall und der Nutzung als Steinbruch für die umliegenden Dörfer, immer mehr an Substanz verloren hat und von der heute nur noch wenige Reste ihrer einst mächtigen Anlagen zu finden sind.
Kammweg des Festberges

Kammweg des Festberges

Der südliche Hang des Festberges ist schon ein Kracher. Rechter Hand ein erstaunlicher Kiefern-Mischwald, an dessen trockenen Rand eine wärmeliebende Flora. Linker Hand dann Wiesen, Weiden und Felder, über die man einen weiten Ausblick genießt. Im Hintergrund die von hier gar nicht so gewaltige Silhouette des Stahlwerks Salzgitter. Ein Weg zum Genießen bis zum ersten Wendepunkt an der Asse. Hier kann man direkt in den Philosophenweg einsteigen oder wie wir einen kleinen Abstecher um den Berg machen. Beides hat seine Reize. Der Abstecher führt vorbei an einer Obstwiese am Gelände des Falkenheims, das 1950 als Jugendferienheim gegründet wurde und sich derzeit nach Insolvenz des Betreibers wohl im Dornröschenschlaf befindet. Zahlreiche schmale Pfade führen von hier unten hinauf zu dem Steinbruch am Berg, etliche davon sind mittlerweile verschwunden oder nur noch mehr schlecht als recht im Gelände erkennbar. Da der Steinbruch weitestgehend zugewachsen ist, kann man den Abstecher auch gut und gerne weglassen. Irgendwie gelangt man hoffentlich zum Philosophenweg, dem Höhenweg des Festberges. Der ist zwar offiziell kein Höhenweg der Asse, die ja aus drei Bergrücken besteht, aber da wollen wir mal nicht pingelig sein. Auf jeden Fall ist der Weg auf nahezu seiner gesamten Länge ein sehr schöner Kammweg. Es gibt im mittleren Teil zwar einen etwas breiteren Weg, der durch schmale Pfade am Anfang und am Ende aber locker wieder wettgemacht wird. Hier ist erstmal nichts mit Aussichten und auch die Pflanzenvielfalt hat im frühsommerlichen Wald bereits nachgelassen, sodass wir die Einsichten in die schöne Waldlandschaft genießen können. Die wird an den beiden Enden von Nadelbäumen dominiert, besonders von Kiefern, im Mittelteil von Laubbäumen, besonders von der Rotbuche.

Viel mehr kann ich als Laie für alles über den sehr freundlichen Kammweg gar nicht sagen. Ich empfand die Zeit hier oben auf jeden Fall als sehr schön und war positiv überrascht, dass sich hier eine solche Vielfalt erhalten hat. Weil es so schön war, verlängerten wir unseren Weg auf dem Kamm sogar noch bis zur Kreisstraße, um uns dem Schacht Asse II durch die “kalte Küche” zu nähern. Gute Entscheidung. Es geht über die Straße, von der aus man bereits einen Einblick in das Schachtgelände hat und dann entweder an der Straße oder auf einem parallel verlaufenden Schnuffelpfad hinab. An der Einfahrt zur Schachtanlage haben Anti-Atom-Aktivisten einen Protest- und Infoplatz eingerichtet. Hier kann man sich etwas anders informieren, als es wenige Meter weiter auf den Infotafeln der “Bundesgesellschaft für Endlagerung” der Fall ist. Vom Parkplatz für Besucher aus hat man einen kleinen Einblick in das ehemalige Kaliwerk, in dem von 1909 an Carnallit (bis 1925) und Steinsalz (bis 1964) abgebaut wurde. 1965 übernahm ein Ableger der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren das Bergwerk, betrieb Forschung zur sicheren Einlagerung radioaktiver Abfälle und lagerte Unmengen an schwach und mittel radioaktiven Abfällen ein. 2008 wurde der Gesellschaft die Verantwortung aus bekannten Gründen entzogen und auf das Bundesamt für Strahlenschutz übertragen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass es ebenfalls die Helmholtz-Gesellschaft ist, die sich dazu in der Lage sieht, die sogenannte “Corona-Krise” durch ihre “Spitzenforschung” zu bewältigen. Halleluja. Zur schier endlos anmutenden Geschichte rund um das Endlager in der Asse gibt es ausreichend Informationen aus vielen Quellen. Wir gehen vor dem Infozentrum der – lassen wir uns diese von Grund auf deutsche Bezeichnung noch einmal durch den Sinn gehen – Bundesgesellschaft für Endlagerung, in den Wald am Heeseberg.

Blick auf das Endlager Asse II

Blick auf das Endlager Asse II

Wieder erwartet uns ein netter Weg, der uns in den Wald führt. Nach ein paar hundert Metern geht es dann nach links auf einen noch viel netteren Pfad. Hier könnte man auch geradeaus über die Remlinger Herse gehen, mit 234 m die höchste Erhebung der Asse. Dort gibt es wohl auch das einzige Naturschutzgebiet der Asse, über dessen genaue Lage nicht einmal beim sonst sehr auskunftsfreudigen NLWKN etwas herauszufinden war. Beim nächsten Mal werden wir wohl mal einen Abstecher dahin machen. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass verschiedene Quellen angeben, die Asse besäße eine in Norddeutschland unvergleichliche, botanische Vielfalt. Wir waren zur “falschen” Zeit hier, aber Reste von Frühblühern waren an vielen Stellen zu sehen, zum Beispiel eine bemerkenswert hohe Zahl des Seidelbast. 643 Pflanzenarten sind hier nachgewiesen, davon 102 gefährdete, unter anderem das Immenblatt. 20 Arten haben hier ihre absolute Nordwestgrenze. Da steht auf jeden Fall noch einmal ein Besuch im Frühling an. Trotzdem würde ich mich hier wohl wieder für den schmalen Pfad entscheiden, der sich aufs Feinste durch einen fantastischen Wald schlängelt. Biker haben hier an manchen Stellen den Weg etwas an ihre Bedürfnisse angepasst, sorgen damit aber wohl auch dafür, dass er freigehalten wird. Ein richtig geiler Weg, den ich gerne zu Ende gegangen wäre, wenn da nicht wieder ein biestiges, kleines Gewitter aufgezogen wäre. So bogen wir an der zweiten Kehre auf den breiten und recht “langweiligen” Weg südlich der Remlinger Herse ab, um möglichst schnell zum Parkplatz zurückzukommen. Im Track habe ich den Weg eingezeichnet, den wir eigentlich gehen wollten, weil ich davon ausgehe, dass er erstens existiert und zweitens wanderbar ist. Am Sportplatz Wittmar treffen sich die Wege, der eigentlich zu begehende und der begangene letztendlich wieder. Kurz geht es dann auf einem schmalen Pfad zum Asseweg hinüber und diesem folgend gelangt man nach wenigen Metern zurück zum Ausgangspunkt.

Am Ende eines Tages...

Auch ohne die möglichen botanischen Begegnungen war das ein Weg, ein Höhenzug, den ich so schön nicht erwartet hatte. Asche auf mein Haupt. Die Asse ist in Sachen Natur und Kultur definitiv etwas Besonderes. In der Nähe waren wir auch schon unterwegs, aber die größeren Nachbarn Oderwald und Elm, die wir mehrfach besucht und erkundet haben, waren für uns jetzt nicht so wirklich wanderbar, wobei wir dort aber auch nicht alle Wege erkundet haben. Jeder hat halt seine eigenen Ansprüche an das Wandern. Was einer schön findet, würdigt der nächste vielleicht keines Blickes. Viel Spaß im hoffentlich nicht wieder so trockenen Sommer.

Letzte Beiträge aus dem Landkreis