Die Adlerklippen

Die Adlerklippen

Kaum eine Wanderung im Harz ist so im Netz verbreitet wie die im Okertal. Vor allem ist der Streckenverlauf auf jeder Wanderseite fast gleich. Auch wir können dem nichts Neues hinzufügen und müssen uns an die natürlichen Gegebenheiten des Okertales halten. Wir haben den Rückweg zwar dieses Mal bis zum Bahnhof Oker durchgezogen, können dafür aber keine wirkliche Empfehlung abgeben. Die Tour vom Waldhaus bis zum Waldhaus hatte uns auch schon so geschlaucht, dass diese letzten Kilometer echt auf die Knochen gingen. Hat man am Waldhaus aber gerade den Bus verpasst, kann man recht nett direkt am Okerufer, an der sogenannten Okerpromenade, den doch zu Stoßzeiten recht lauten Ort Oker durchqueren. Zur Einkehrsituation (Stand der Dinge Juni 2018): Das schöne Waldhaus an der Endhaltestelle der Linie 801 ist immer noch geschlossen. Das Kästehaus ist ebenfalls wegen Renovierung geschlossen. Die „königliche“ Gaststätte Romkerhall, in der wir das letzte Mal vor 20 Jahren eingekehrt sind, ist geöffnet. Die Rückseite des Gebäudekomplexes ist jetzt schon seit langer Zeit in einem immer mehr maroden Zustand. Von vorne und von innen sieht es aber wohl besser aus, wenn man den teils recht aktuellen Bildern auf Facebook trauen kann. Probieren geht über studieren. Das Okertal! Auch nach dem Fall der Mauern immer noch einer der faszinierendsten Orte des gesamten Harzes. Urige Pfade über Stock und Stein, majestätisch übereinander geschichtete Felsen am laufenden Meter, im Tal immer am Puls der wildromantischen Oker, viele kleine Erlebnisse am Rande, tolle Aussichten von den oberhalb des Harzflusses gelegenen Klippen, eine durchaus spannende Natur – was will man mehr? Nicht einmal die ständig präsente und immer gut befahrene Bundesstraße 498 kann das Erlebnis trüben und rückt von Anfang an vollkommen in den Hintergrund. Daran zumindest hat sich (für uns) in den letzten 20 Jahren nichts geändert. Die mancherorts überbordende Tourismusindustrie scheint das Okertal noch nicht entdeckt zu haben und das sollten wir nutzen, solange es noch geht.

Los geht es für uns am Waldhaus und zuerst durchs Okertal. Kurioserweise sind wir diesen Weg jetzt schon ungefähr ein Dutzend Mal gegangen und niemals anders als so. Aber jeder kann natürlich für sich selbst entscheiden, wie es ihm am liebsten ist. Wer an der Romkerhalle startet, dem würde ich sogar eher empfehlen, zuerst über die Käste zu gehen. Von der Bushaltestelle am seit langen Jahren geschlossenen Waldhaus, dessen Zustand allerdings noch nicht allzu marode ist, geht es sofort ins Okertal. Ein „Spenden-Hydrant“ des Harzklubs will gefüllt werden, denn der Klub zeigt sich unter anderem immer noch hauptverantwortlich dafür, dass die 10.000 Kilometer Wanderwege im und am Harz mit 50.000 Markierungen versehen sind. Hinter der Spendendose geht es direkt ins Okertal. Nur durch Zufall fand ich vor Jahren auf der Preußischen Landesaufnahme der höchst informativen Niedersächsischen Umweltkarten des NLWKN heraus, dass es im Bereich unserer heutigen Tour insgesamt sechs Holzschleifereien gab, die durch die Herstellung von Holzschliff den stetig wachsenden Papierbedarf des ausgehenden 19. Jahrhunderts deckten. Die Gebäude sind wohl nicht (alle) original erhalten, aber an ihren Standorten befinden sich heute noch verschiedene Gebäude, wie zum Beispiel das Kraftwerk am Schlafenden Löwen. Um jetzt auch endlich den passenden Einstieg ins Okertal zu finden, steht direkt an unserem Einstieg ins Tal, auf der anderen Seite des Flusses, ein Gebäude, das auf einem solchen Gelände einer ehemaligen Holzschleiferei errichtet wurde. Das Okertal zeigt sich bereits hier von seiner besten Seite. Ein angenehmer Weg, links Felsen, rechts die mit allerlei Gestein aller Größen angefüllte Oker. Für den Laien kaum nachvollziehbar, das die Oker, die vielerorts im weiteren Verlauf unter Naturschutz steht, hier „nur“ als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen ist – wie übrigens große Teile des Westharzes auch.

 

Oker und das Okertal

  • 1064 erste urkundliche Erwähnung der Sudburg und einer Siedlung, die wohl bereits im 9. Jahrhundert entstand

  • im 13./14. Jahrhundert fiel der Ort, vermutlich im Zuge von Fehden zwischen Goslar und dem Amt Harzburg wüst
  • 1527 ließ Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Lüneburg eine Hütte errichten, die Erze aus dem Rammelsberg bei Goslar verhüttete. Dadurch siedelten sich Hüttenarbeitern dauerhaft an und der Ort Oker entstand
  • 1570-1574 Anlage des Großen und Kleinen Juliusstaus nahe der heutigen Okertalsperre, um das benötigte Holz aus dem Harz über die Oker zu flößen. Der Große Juliusstau war im 16. Jahrhundert das größte Bauwerk seiner Art
  • 1580 Gründung der Großen Herzoglichen Papiermühle, die Papier lieferte für die fürstliche Kanzlei, Ämter, Bergwerke und die Universität in Helmstedt
  • 1856-1861 Bau einer Straße durchs Okertal
  • 1862 Erste Holzschleiferei im Okertal
  • 1863 Eröffnung der Romkerhalle mit dem künstlichen Wasserfall
  • 1865 Letztes Flößen im Okertal
  • 1952 Oker bekam als jüngster deutscher Ort die Stadtrechte
  • 1972 Eingemeindung von Oker nach Goslar

Hier könnte man Stunden und Tage damit verbringen, dem kühlen Nass beim Fließen, Plätschern und Sprudeln über die zahllosen aus dem Berg herausgearbeiteten Felsen zuzusehen. Je nach Jahreszeit und Wasserstand und Blickwinkel verändert sich hier ständig alles und Johann Wolfgang Goethe kommt einem in den Sinn, dem durchaus an einem solchen Ort die Zeilen eingefallen sein könnten:

Willst du ins Unendliche schreiten, geh nur im Endlichen nach allen Seiten

Willst du dich am Ganzen erquicken, so mußt du das Ganze im Kleinsten erblicken…

Im schönen Okertal

Im schönen Okertal

Farne, Moose, Pflanzen aller Art, manchmal sogar mehr oder weniger kleine Bäume wachsen aus den Felsen in und am Fluss. Auf den Klippen, denen wir heute begegnen, wachsen sie in imposanter Größe aus Felsspalten und manchmal, so scheint es zumindest aus der Entfernung, mitten aus dem harten Fels. Für diese Kämpfernaturen gilt der Spruch „Man kann sich seinen Platz im Leben nicht (immer) aussuchen“, den ich mir auch schon lange auf die nicht vorhandene Fahne geschrieben habe. Das macht Spaß, hier mit offenen Augen und Ohren und offenem Herzen durch die Natur zu schlendern und manchmal auch zu stolpern. Das erste größere Massiv erreichen wir an den Adlerklippen und Uhuklippen. Ein Highlight des Tages ist der sich am Fuß der Klippen entlangziehende Weg über Treppen und Stege. Über uns die Felstürme, unter uns die Oker und ein Graben, der zum eben passierten Gebäude verläuft, an dessen Standort sich wohl eine der schon erwähnten Holzschleifereien befand. Ein erster Aussichtsplatz erlaubt einen guten Überblick über die nähere Umgebung. Folgt man kurz dem rechten Ufer der Oker, gelangt man zu einem kleinen Rastplatz unterhalb der Klippe des Schlafenden Löwen. Das Kraftwerk, in dessen Turbinenraum man einen Blick werfen kann, war wohl einst auch eine der – genau, Holzschleifereien. Zurück zur Oker, geht es jetzt ein paar hundert Meter direkt parallel zur Bundesstraße 498, was aber in diesem Ausnahmefall nicht im geringsten stören sollte. Von hier oben haben wir tolle Einblicke ins Okertal und ebensolche Aussichten auf die beeindruckenden Felsformationen von Teufelskanzel und Marienwand. Und schon geht es auch wieder hinab zum Fluss und über zwei Brücken an einem weiteren Mühlenplatz vorbei. Das vordere, deutlich ältere Gebäude ist wohl der eindeutigste Kandidat im Tal für ein erhaltenes Gebäude der ehemals Papier produzierenden Mühlenwerke. Das Okertal gestaltet sich trotz seiner Kompaktheit und Kürze wirklich sehr abwechslungsreich und interessant.

Dies merkt man auch an der nächsten Station, dem so lapidar als „Ausgleichsbecken Okertalsperre“ genannten Gewässer. Hier wird, ebenso wie an weiteren Kraftwerken flussabwärts, nicht nur Strom erzeugt, sondern auch ein gleichmäßiger Wasserzufluss in die Oker gewährleistet. Von der typischen 1950er Jahre Staumauer hat man Ausblick auf ein nahezu idyllisches Gewässer. Ein schöner Wanderpfad führt uns direkt am Ufer an dem langgezogenen See entlang. Hinter dem Okerstau kommt gleich die Verlobungsinsel, die einzige über eine Brücke erreichbare „Insel“ des Harzes mit ihren mächtigen Felsblöcken und ansehnlichen Aussichten auf die Oker. Hier ist eine Rast fast schon Heilige Pflicht. Dann geht es weiter auf dem herrlichen Pfad, vorbei an willkürlich übereinandergestapelt wirkenden Felsformationen, die aber gleichzeitig so kunstvoll zusammengesetzt aussehen, dass es durchaus vorstellbar erscheint, es könne sich um absichtliches Schöpferwerk handeln. Vorbei an einem mittlerweile leerstehenden imposanten Gebäude erreichen wir den Gebäudekomplex des „Königreichs Romkerhall“. Seit ewigen Jahren verfällt hier leider alles mehr und mehr. Die ehemalige Terrasse über der Oker ist ewige Baustelle und wahrscheinlich davon nicht allzu begeisterte Besucher, die lieber draußen sitzen, sind mittlerweile gezwungen, fast direkt an der Bundesstraße zu sitzen. Von vorne ist alles in ziemlich guten Zustand und so ist das „kleinste Königreich“ der Welt immer noch einen Besuch wert. Von dem ungefähr 60 Meter hohen, künstlichen Romkerhaller Wasserfall, der zusammen mit der Romkerhalle 1863 angelegt wurde, war während unseres Besuches, wohl auch wegen Wassermangel in der Kleinen Romke, nicht viel zu erkennen. Da sind andere Jahreszeiten wohl besser geeignet, um eine Gesamtansicht des durchaus imposanten Schauspiels zu genießen. Direkt am Wasserfall führt uns ein knackig steiler und unwegsamer Pfad hinauf zum Beginn desselben. Eine schöne Aussicht hinunter und einige Bänke laden zur etwas ruhigeren Rast ein.

Blick zu den Adlerklippen

Blick zu den Adlerklippen

Hier am künstlichen Bachlauf der vom natürlichen Lauf abzweigenden Kleinen Romke, befindet sich eine ansehnliche Anzahl an Türkenbundlilien und Maiglöckchen. Das ist schon erstaunlich an einem Tag, der dominiert wird von dem im Harz so häufig anzutreffenden und prächtigen Roten Fingerhut, der besonders auf Kahlschlägen massenhaft vorkommt. Im Okertal kann man auch noch den gar nicht so häufigen Sumpf-Ziest antreffen, am Bachlauf der Romke z.B. wächst der im Sommer zahlreiche Schmetterlinge anlockende Echte Baldrian. Das nur einige Beispiele der in den noch von der Fichte dominierten Wäldern ja nicht gerade üppigen Flora. Am Graben der Romke geht es auf schmalem Pfad erst gemächlich weiter, am nächsten Abzweig dann knackig und geschottert hinauf zur Feigenbaumsklippe. Hinter der Mooswand erreichen wir den ersten und zugleich schönsten Aussichtsfelsen auf der Anhöhe. Das ist schon toll, so durch die wollsackverwitterten Felsen bis zum Aussichtspunkt zu krabbeln, um die herrliche Aussicht zu genießen. Über den Sudmerberg reicht die Aussicht ins nördliche Harzvorland, vor und unter uns sind zum Beispiel die Felsen der Adler- und Uhuklippen gut erkennbar. Eine Bank lädt zum Pausieren ein und eine Infotafel informiert über Geologie und Naturschutz im Okertal. Gleich hinter der Feigenbaumklippe gelangen wir dann zur Mausefalle, die ihrem Namen nun wirklich alle Ehre macht. Bei genauerer Betrachtung erscheint es nur eine Frage von Minuten oder Stunden, bis der große, eigentlich im Nichts schwebende Felsen abgeht. Im Grunde fragt man sich, warum er sich überhaupt noch dort oben befindet. Auch auf dem weiteren, sehr freundlichen Weg wird es nicht minder spannend. An der Habichtsklippe und der Hexenküche vorbei, wandern wir zur Käste mit dem Kästehaus und der Kästeklippe. Von allen dreien habe ich leider keine brauchbaren Fotos gefunden und dieses Mal waren wir zu faul und/oder kaputt, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Aber Fotos, zum Beispiel von der Felsformation „Alte vom Berge“, gibt es sowieso zuhauf.

Am urigen Kästehaus mit schönem Außenbereich könnte man gepflegt einkehren, falls es irgendwann wieder die Türen öffnet. Sehr schade, wenngleich es dadurch hier oben etwas ruhiger ist. Hinter der Bushaltestelle „Kästeklippen“ geht es auf urigem Trampelpfad hinab, um zum gewaltigen Treppenstein zu gelangen. 2013 waren wir das erste Mal auf der Klippe und waren äußerst beeindruckt vom sich bietenden Schauspiel. Für mich persönlich ist dieser Felsen sogar der „schönste“ des Tages. Erst geht es auf einem Pfad halb um den Felsen des Großen Treppensteins herum, dann über eine schmale Treppe in durchaus schwindelerregende Höhen. Ich habe es zwar bis ganz nach oben geschafft, musste aber beim Abstieg wieder einmal feststellen, dass der Aufstieg auch der leichtere Teil ist, wenn man mit Höhenbedenken zu kämpfen hat. Der Ausblick vom Felsen ist ähnlich weitreichend wie der von der Feigenbaumklippe und reicht über den Sudmerberg ins Harzvorland. Im Felsen sind Spuren erkennbar, die darauf hindeuten, dass es hier zumindest im Mittelalter eine Befestigungsanlage gab, deren Sinn allerdings noch nicht gänzlich geklärt werden konnte. Hinter dem Treppenstein geht es auf verschiedenen Wegen, aber immer noch recht freundlich hinab. Verschiedene markante Felsen erregen Aufmerksamkeit, eine Schutzhütte am Ziegenrücken und eine Aussichtsbank etwas später, laden noch ein letztes Mal zur Rast ein. Hinter der wirklich noch einmal höchst imposanten Ziegenrückenklippe geht es dann leider den Rest des Weges nicht mehr ganz so hübsch hinab ins Tal. Man kann es aber positiv sehen, in dem man sich freut, dass man nicht mehr über Stock und Stein kriechen muss. Schließlich und schlussendlich erreichen wir, vielleicht wohlig erschöpft und hoffentlich vollauf befriedigt, die Bundesstraße 498 und unseren Ausgangspunkt am Waldhaus Oker.

 

Am Ende eines Tages...

Das Okertal bietet eigentlich für fast jeden mehr als nur eine ausreichende Fülle an Erlebnissen. Sei man nun interessiert an Geologie, Bergbau, Geschichte, Flora und Fauna oder will man einfach nur schauen, fahren, wandern, paddeln oder klettern. Dementsprechend gut besucht ist das kleine Tal und man kann nur hoffen, dass sich zumindest die meisten Besucher dementsprechend respektvoll der Natur nähern und mit ihr umgehen. Harzlich willkommen also in einem der unverändert immer noch schönsten Täler in einem der abwechslungsreichsten, spannendsten und schönsten Mittelgebirge unserer Heimat…

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