Die Kirschblüte beginnt! Was liegt näher, als mal wieder ins Alte Land zu fahren? Das Werratal bei Witzenhausen natürlich. Nichts gegen das schöne Jork. Als Kind und Heranwachsender war ich dort oft mit meinen Altvorderen. Aber die Kirschblüte im lieblichen Berg- und Hügelland Nordhessens, das als größtes, geschlossenes Kirschanbaugebiet Europas gilt, entspricht heute einfach mehr unserem Beutespektrum. Bei der Planung einer Tour fand ich dann zufälligerweise den nordhessischen Premiumweg 25 bei Kleinalmerode, sodass ich selbst weiter nichts mehr tun musste. Viele dieser Premiumwege sind wir bereits mehrfach gegangen, manche noch gar nicht und es werden immer mehr. Das ist auch ganz gut so, denn die nordhessischen Wälder, oftmals forstwirtschaftliche Flickenteppiche, haben uns früher oft in die Verzweiflung getrieben. Die Gestalter der P-Wege müssen natürlich darauf achten, dass diese durch halbwegs intakte Gegenden verlaufen. An der Stelle lasse ich gleich mal ein riesiges Lob da, denn das ist bislang (fast) überall hervorragend gelungen. Fast immer führen die Premiumwege durch freundliche Wälder und Landschaften, die Wege sind fast immer perfekt ausgeschildert, man findet immer wieder am Wegesrand Informationen zu natürlichen und kulturellen Aspekten und andere liebevolle, kleine Details. Seit einigen Jahren wandern wir in diesem Bereich nur noch auf diesen Wegen, obwohl wir sonst sehr viel Wert auf unsere eigene Gestaltung legen. Nach langer autofreier Zeit nahmen wir im August 2019 mit dem P1 am Meißner die Premiumwege wieder in Angriff und wir wollten in den darauffolgenden Jahren alle erwandern, die in erreichbarer Nähe sind, um anschließend den Rest während eines Urlaubs zu absolvieren. Pustekuchen. Nach 2,5 Jahren ist dies erst die vierte Wanderung in Nordhessen. Man muss auch loslassen können. Wir werden nach Lust und Laune einfach jede sich bietende Gelegenheit nutzen, in den nächsten Jahren weitere Premiumwege zu erwandern.

Am Schäferberg

Am Schäferberg

Bevor ich wieder endlos daher schwatze, gehen wir am besten los. Start ist am Sportplatz Kleinalmerode. Wie ich erst zu Hause bemerkte, liegt der gerade noch so in Hessen. Dahinter ist schon wieder Niedersachsen. So führt die Wanderung uns am Schluss auch ein Stück durch Niedersachsen. Der bei weitem größte Teil des Weges verläuft aber in Hessen. Bereits am Parkplatz erwartete uns eine Überraschung. Auf einer sumpfigen Wiese blühten zahlreiche Sumpfdotterblumen. Das ist vielleicht hier nichts Ungewöhnliches, für uns ist es die erste Begegnung seit längerem und der größte Bestand, den wir jemals gesehen haben. Da waren wir natürlich schon deutlich positiv gestimmt, als wir unsere ersten Schritte in eine liebliche Landschaft führten. Das ist es, was uns heute über weite Strecken erwartet. Wiesen, Weiden und Felder, schön strukturiert durch Bäume, Sträucher und mehr, ab und an von freundlichen Tieren bewohnt. Wälder erwarten uns heute nur am Buchholzfelsen und gegen Ende. An den Grenzsteinen, der ersten Station des Weges, hätte uns schon auffallen können, dass wir heute Landesgrenzen überschreiten, aber anscheinend waren wir abgelenkt. Zumindest besteht hier und heute nicht mehr der Wirrwarr, der zu Zeiten der deutschen Kleinstaaterei herrschte. Ein Stück weiter steht auf einer Wiese eine von einem (temporären?) Bach, der auch für die sumpfige Wiese am Sportplatz verantwortlich ist, umflossene Weide. Interessant. Es geht ein wenig hinauf und hin und her, bis wir die ersten kleinen Kirschplantagen erreichen. Das ist einfach eine Pracht und sorgt für einen beschwingten Geist. Wer kann sich diesem Anblick entziehen? Der Weg führt uns hinab nach Kleinalmerode, das wir heute zweimal durchwandern. Auf dem ersten Haus im Ort saßen etliche Tauben wie auf einer Perlenschnur aufgereiht auf dem Dach und etliche weitere im Taubenschlag. Alle beobachteten uns wachsam, aber anscheinend gelassen.

In Kleinalmerode ist es nett, wenngleich der Ort eher untypisch, mit recht wenig alter Bausubstanz daherkommt. Dafür ist er in eine herrliche Landschaft eingebettet. An dieser Stelle muss allerdings auch erwähnt werden, dass wir oft an diesem Tag einen Ausblick gen Kaufunger Wald “genießen” dürfen. Hier stehen mittlerweile 15 Windkraftanlagen (von mir nicht liebevoll als Biotom-Meiler bezeichnet), die sich während der gesamten Wanderung immer wieder ins Blickfeld drängen. Allzu schlimm ist das nicht, aber da oben möchte ich auf keinen Fall wandern gehen. Kleinalmerode verlassen wir am Friedhof, wobei wir am Ende noch einen Blick auf den Naturerlebnisgarten Schäferberg werfen dürfen. Viel zu sehen ist von dem schönen Garten von hier oben nicht, aber einen Besuch scheint er auf jeden Fall wert zu sein. Dieses Jahr (2022) findet am 12. Juni wieder die Gartentour durchs Werratal statt, bei der man zahlreiche private Gärten besuchen kann. Nähere Informationen bekommt man bestimmt bei den Tourist-Infos. Für uns geht es weiter in die liebliche und immer wieder aussichtsreiche Landschaft am Schäferberg. Langsam war es Zeit für eine Pause, aber ein windiger Pausenplatz auf der Anhöhe ließ uns noch etwas warten. Es geht wieder in ein Waldstück und damit zum Buchholzfelsen, der vielleicht nicht so spektakulär daherkommt wie andere Vertreter seiner Art, aber ungewöhnlich ist, weil man ihn hier eher weniger erwartet. Entstanden ist der Fels durch Verkarstungen im Zechstein, in dem sich Ablagerungen von zum Beispiel Gips und Salz finden. Diese werden durch eindringendes Wasser aufgelöst, was immer wieder zu Spalten und Felsstürzen führt. Dementsprechend sieht auch unser Weg hier aus. Ein tolles Fleckchen und ein windstiller Pausenplatz dazu. Ein paar Meter weiter oben verlassen wir den Wald bereits wieder und gelangen eine weitere Offenlandschaft mit Kirschbäumen und Schwarzdornhecken. Im Gegensatz zu den Kirschen steht der Schlehdorn in vollster Blüte und zieht die Blicke auf sich.

NSG Kalkmagerrasen bei Roßbach

NSG Kalkmagerrasen bei Roßbach

Das etwa 55 Hektar große Naturschutzgebiet Kalkmagerrasen bei Roßbach, das aus historischen Huteflächen zusammengesetzt ist, wurde 1995 ausgewiesen und besteht aus verschiedenen Lebensraumtypen und Biotopen, wie zum Beispiel Halbtrockenrasen auf Kalk, mageren Flachland-Mähwiesen, Streuobstwiesen und extensiv bewirtschafteten Äckern. Es umfasst Bergkuppen, Bergrücken und Hangbereiche einer stark gegliederten Zechstein-Landschaft im Kleinalmeröder Hügelland. Die fünf Teilstücke sind Dohrenbacher Warte, Kalkrain, Keßstieg, Ameisenkopf und Großer Hesselberg. Zehn Orchideenarten sind für das Gebiet nachgewiesen, unter anderem das Stattliche Knabenkraut und die Herbst-Drehwurz. Das Dreizähnige Knabenkraut hat hier mit mehreren zehntausend Exemplaren seinen größten Bestand in Deutschland.  Schützenswerte Pflanzenarten sind neben den Orchideen zum Beispiel der Acker-Rittersporn, das Sommer-Adonisröschen, Fransen-Enzian und Deutscher Enzian. Schützenswerte Tierarten sind zum Beispiel die Kreuzkröte, die Zauneidechse, der Neuntöter und die Schlingnatter. Regional und überregional seltene Schmetterlingsarten sind zum Beispiel der Skabiosen-Scheckenfalter, der seit 2007 nicht mehr nachgewiesen werden konnte, der Komma-Dickkopffalter, Roter Würfel-Dickkopffalter und der Silbergrüne Bläuling.

Südlich von Hubenrode betreten wir ein größeres Waldstück, das einiges zu bieten hat. Im Bachtal geht es entlang eines Bruchwaldes zu einigen Gipsfelsen und weiter zur sehenswerten Hasenmühle, an der wir den Wald wieder verlassen. Wir streben hinauf zu einer neu angelegten Streuobstwiese. Von hier oben haben wir immer wieder tolle Aussichten in die umgebende Landschaft. Immer weiter geht es durch die Wiesen hinauf und dann wieder hinab zur zweiten und letzten Durchquerung von Kleinalmerode. Nach Verlassen des Ortes lassen wir uns weiter durch die schöne Landschaft treiben, wobei wir auch noch einige Höhenmeter überwinden müssen, um schließlich zu einem Highlight des Tages zu gelangen, dem Naturschutzgebiet Kalkmagerrasen bei Roßbach. Vor zwei Jahren waren wir hier das letzte Mal auf dem Premiumweg 9 – Wacholderpfad Roßbach unterwegs. Auf dem P25 erreichen wir zwei der fünf Teilgebiete des Naturschutzgebietes, den Keßstieg und den Ameisenkopf. Das ist schon ein toller Anblick, wenn man aus dem kleinen Waldstück tritt und auf einmal einen Ausblick auf diese berauschend schöne und bezaubernde Landschaft bekommt. Da kommt die Pausenbank am Hang gerade recht, um diesen Blick eine Weile zu genießen. Zahlreiche nicht alltägliche Vertreter aus Fauna und Flora lassen sich hier im Wechsel der Jahreszeiten erblicken. Als wir dieses Mal hier waren, kamen gerade die ersten Orchideen auf den Hängen aus dem Boden. Eine Infotafel informiert uns am Fuß des Berges über die später zu erwartende Pracht. Wir ziehen weiter und auf tollen Wegen und Pfaden geht es entlang von Kirschanbaugebieten in das Tal des Verlorenen Bachs, der hier im Gelände durch Verkarstungen im Untergrund verschwindet. Gewaltig, welche Erlebnisse dieser Weg dem Interessierten bietet. Ein Stück geht es noch im Bachtal weiter, dann gehen wir hinauf zum Klippstädt mit seinen weitläufigen Obstanbaugebieten und dem Kirschwanderweg Nummer 4.

Blick zurück nach Kleinalmerode

Blick zurück nach Kleinalmerode

An dieser Stelle möchte ich mal wieder eine Lanze für den Geobasisdaten-Viewer des Landes Niedersachsen brechen. Dieser ist vorbildlich und unkompliziert gestaltet, was man über die entsprechenden Viewer anderer Bundesländer, leider auch über das Geoportal Hessen, nicht sagen kann. Hier ist es ein Graus, etwas herauszubekommen, wie zum Beispiel in diesem Fall die Namen von Bergen und Wäldern. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu doof. Eigentlich ist es aber auch egal, welche Bezeichnung Menschen den einzelnen Bestandteilen dieser Landschaft gegeben haben. Sie ist auf jeden Fall ein Erlebnis. Durch die Obstplantagen, auch hier leiden die Kirschen unter den klimatischen Veränderungen der letzten Jahre, geht es hinauf auf den Berg. Überall haben engagierte Menschen für Informationen gesorgt und zahlreiche Unterschlupfmöglichkeiten für viele Tiere gebastelt, wie Totholz- und Steinhaufen oder Insektenhotels. So geht es beschwingt durch diese Gegend hinab in ein weiteres Waldstück. Dieses ist teilweise arg in Mitleidenschaft gezogen. Oberhalb von Kleinalmerode biegen wir dann scharf ab und es wird wieder etwas besser. Wege und Pfade führen uns zum Spiel- und Rastplatz Rippelsberg mit angeschlossenem Parkplatz und dann hinab zur Landstraße. Dort steht der Gedenkstein für den Förster Knoche, der hier am Heiligabend 1913 von einem Wilderer erschossen wurde. Nach Überquerung der Landstraße folgen weitere Pfade durch junge Wälder, bis wir schließlich in einen dunklen Wald mit ungefähr 200 Douglasienbäumen kommen. Hier befindet sich eine der deutschen Samensammelstellen für den Baum, der als Hoffnungsträger der Forstwirtschaft gilt. Na ja, die Irrwege des Menschen sind bekanntlich unzählig und werden es wohl auch noch lange bleiben. Noch ein paar Meter geht es über die Wiese, dann erreichen wir unseren Ausgangspunkt am Sportplatz von Kleinalmerode.

Am Ende eines Tages...

Da ich mittlerweile, nach einem Urlaub mit neun (kurzen) Wanderungen an zehn Tagen, leicht in Beitragsrückstand zu geraten drohe, habe ich diesen Beitrag, der jetzt schon einige Wochen unerledigt vor sich hin “reift”, schnell abgearbeitet. Das wird ihm natürlich nicht gerecht. Von den mittlerweile 25 Premiumwegen im Frau-Holle-Land sind wir etliche bereits gegangen, einige bereits mehrfach. Der Premiumweg 25 bei Kleinalmerode zählt zu den bislang schönsten, auch weil er sich als sehr abwechslungsreich erwiesen hat. Hier gibt es nahezu alles im munteren Wechsel, was das Wanderherz höher schlagen lässt. Es geht in Bachtäler, durch Wälder, über aussichtsreiche Hügel, durch spannende Trockenrasen- und Obstanbaugebiete, entlang von Felsen und vieles mehr. Theoretisch könnte man den P9 und den P25 zu einer Tour zusammenbasteln, aber zur rechten Zeit, zum Beispiel, wenn die Orchideen blühen, macht das überhaupt keinen Sinn, außer man betrachtet das Wandern als reinen Sport. Wer das Wandern als ganzheitliche Erfahrung betreibt, als Passion, als Erleben von Natur und Kultur mit allen Sinnen, als Ausdruck von Heimatliebe und Lebensfreude, der wird diese schöne Landschaft lieber an zwei Wandertagen in vollen Zügen genießen wollen.

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