Das Weserbergland hat etliches zu bieten für den Wanderer, wobei die Felsen des Hohenstein zu den Klassikern gehören, die man erlebt haben sollte. Alle paar Jahre zieht es uns trotz etlicher alter und neuer Wanderideen wieder hierher. Denselben Weg geht man bekanntlich nie, den gleichen sind wir hier auch noch nie gegangen. Dieses Mal starteten wir also zum ersten Mal vom recht ruhigen Parkplatz am Forsthaus Bensen. Der Ort selbst ist eines der vielen kleinen Dörfer, die am Südrand des Süntel wie an einer Perlenschnur aufgezogen sind. Zum “sagenumwobenen” Höhenzug des Süntel später mehr. Am ehemaligen Forsthaus, am Ende der Bennostraße,  erwarten uns eine Wanderkarte, ein Rastplatz und ein erster netter Ausblick auf den geduldig auf uns wartenden Süntel. Gleich vorweg kann man sagen, dass in diesem Teil des Waldes die Welt noch ein wenig “in Ordnung” ist, weil der Laubwaldanteil sehr hoch und deshalb wenig Kahlschlag vorhanden ist. Das haben wir letztens etwas weiter westlich an der Hohen Egge leider ganz anders erleben müssen. Aber jetzt erstmal los. Wir wandern anfangs barrierefrei durch eine von den umliegenden Bergen eingeschlossene Waldrodung zum Waldrand, wobei wir mehrere ehemalige Steinbrüche passieren, von denen wir aber nichts mitbekommen, wenn wir kein geschultes Auge für solche Lokalitäten haben. Am Waldrand, von dem wir einen netten Rückblick auf die hinter uns liegende Landschaft bekommen, erwartet uns an den Bakeder Eichen ein weiterer Rastplatz. Eine Tafel informiert uns über die von heute aus betrachtete Mühsal, die Menschen früher auf sich nehmen mussten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Von Bensen und den anderen südlich des Süntel gelegenen Ortschaften begaben sich bis in die 1930er Jahre viele Menschen jeden Tag auf einen fünf bis zehn Kilometer langen Marsch. Es ging zum Steinbruch an der Eulenflucht, zum Kalkwerk nach Kessiehausen oder in die Stuhlfabriken in Bakede. Drei Stunden marschieren, zwölf Stunden malochen, ein Haufen Kinder und nur Butter auf dem Brot – da verdrehe ich innerlich schon immer gerne die Augen, wenn Menschen sich heute aufregen, weil sie mal 15 Minuten auf den Bus warten müssen, keinen Parkplatz finden oder es um 20 Uhr keine frischen Brötchen mehr gibt.

Ich als Mensch ohne Fahrerlaubnis habe selbst teilweise historische Verhältnisse erlebt. In der Ausbildung musste ich jeden Tag ungefähr fünf bis zehn Kilometer zu Fuß zurücklegen, um an meinen Arbeitsplatz zu gelangen. In den 2000er Jahren war ich dann jeden Tag knapp dreizehn Stunden unterwegs beziehungsweise habe zwei Jahre am Arbeitsort ein Zimmer gehabt und bin jeden Tag mehrfach hin- und hergefahren. Selbst diese heutzutage für viele unvorstellbare Mühsal wäre vor 100 Jahren wohl ein Zuckerschlecken für einen Arbeiter gewesen. Der “Arbeitsweg”, dem wir jetzt folgen, führt uns an einem alten Steinbruch vorbei zum Kammweg des Süntel. Hier erwarten uns diverse Wanderwege, unter anderem der Weserwanderweg oder Weserbergland-Weg, wie er hochoffiziell heißt. Bis hinter die Klippen des Hohenstein führt uns der insgesamt 225 Kilometer lange Weg, der sich von Hannoversch Münden bis zur Porta Westfalica erstreckt. Schmal ist er hier noch nicht, aber durch erfrischend schönen Wald geleitet er uns. Das wird noch besser, wenn wir kurz darauf das Naturschutzgebiet Hohenstein erreichen, das wir dann erst am Parkplatz Blutbachtal wieder verlassen. Ab dem Renate-Ricke-Stein, der an ein 1956 hier verunglücktes Mädchen gemahnt, wird es dann richtig urig und wir gehen immer in Sichtweite der hier steil abfallenden Hänge des Süntel. Knorrige Buchen, aber auch Eichen und Eiben säumen die Wege, selbst die seltene Elsbeere ist in diesen Wäldern punktuell zu finden. So geht es beschwingt weiter, während sich zur Linken bereits die ersten Ausblicke ins umliegende Weserbergland erhaschen lassen.

Der Süntel und der Hohenstein

Der Süntel und der Hohenstein

Das Naturschutzgebiet Hohenstein erstreckt sich auf ungefähr 877 Hektar über den westlichsten Teil des Süntel. Unter Schutz stehen in erster Linie auf Kalkfelsen stockende Buchenmischwälder. Innerhalb des Gebietes sind am Hohenstein (etwa 59 Hektar) und am Schrabstein (etwa 22 Hektar) zwei Naturwaldreservate ausgewiesen. Steile Felsen, tiefe Bachtäler, Kalktuffquellen und Höhlen sind ebenso zu finden wie eine artenreiche Fauna und Flora. Uhu, Wanderfalke, Schwarzstorch, Eisvogel, Kolkrabe und zahlreiche Fledermausarten besiedeln das Gebiet, auch der Luchs wurde bereits gesichtet. An den Hängen und auf den Höhen findet man etliche Orchideen, zahlreiche Frühblüher und Pflanzen wie die Astlose Graslilie, die Pfingstnelke, das Westfälische Brillenschötchen oder die Österreichische Rauke. Bei Langenfeld befindet sich mit 15 Metern Höhe der höchste natürliche Wasserfall Niedersachsens und mit der Riesenberghöhle (800 Meter Länge) die größte Tropfsteinhöhle.

Der Süntel hat aber auch abseits des Naturschutzes und des Naturschutzgebietes etliches zu bieten. Den Sachsen, naturverbundener als die meisten heutigen Zeitgenossen, wird insbesondere der Hohenstein heilig gewesen sein. Tier- und vielleicht auch Menschenopfer soll es gegeben haben und besonders der Göttervater Donar und die Frühlingsgöttin Ostara wurden entsprechend verehrt. Im Jahr 782 fand auf dem Dachtelfeld eine der siegreichsten Schlachten der Sachsen gegen die einfallenden Franken statt, die kurz darauf blutige Rache nahmen, die Sachsen unterwarfen und ihnen das Christentum aufzwangen. Ebenfalls mit dem Süntel sind die weltweit einmaligen Süntelbuchen verbunden, die nach Großrodungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts nur noch an wenigen Stellen natürlich vorkommen. Im Kurpark Bad Nenndorf kann man eine Allee der so wunderbar “verschrobenen” Bäume bestaunen, die sich anscheinend jeder “natürlichen Ordnung” widersetzen. Botanische Raritäten des Süntel sind zum Beispiel der Hirschzungenfarn und der Gelbe Frauenschuh. Zahlreiche weitere Natur- und Kulturdenkmale und Besonderheiten prägen den sagenumwobenen Höhenzug.

Der Grüne Altar ist die erste betretbare Klippe, von der aus wir einen schönen Ausblick in das Wesertal zwischen Hessisch Oldendorf und Hameln genießen können. An dieser Stelle eine kleine Einfügung: Auf den modernen Karten sind drei Lokalitäten am Hohenstein vermerkt. Grüner Altar, Teufelskanzel und Hirschsprung. Auf dieser übrigens sehr interessanten Site findet man einen Beitrag, in dem jemand ausführt, dass in verschiedenen historischen Quellen verschiedene Angaben dazu gemacht wurden und Grüner Altar und Teufelskanzel eventuell ein und denselben Ort meinen. So unsinnig wäre das gar nicht, weil nach dem Sieg der Franken über die Sachsen im 8. Jahrhundert das Christentum einzog und mit seiner Propaganda den alten Glauben unserer Vorfahren in Misskredit brachte. Alte Heiligtümer wurden zum Beispiel entfernt, überbaut und/oder umbenannt. Was läge näher, als aus einem Altar des alten Glaubens eine Teufelskanzel zu machen? Es wird lange Jahrzehnte oder Jahrhunderte gedauert haben, bis man zwangsweise den Menschen ihren uralten Glauben abgewöhnt hatte, aber letztendlich hat es geklappt. Dass so etwas geschehen konnte, verwundert nicht, wenn man sich ansieht, was auch heutzutage wieder geschieht. Sei es, wie es ist. Wie auch immer die Lokalitäten geheißen haben und heißen – es ist wunderschön hier. Von der heute als Teufelskanzel bezeichneten Stelle, es geht mindestens 50 Meter geradeaus nach unten hier, hat man einen sagenumwobenen Ausblick und es fällt wohl nicht nur uns immer wieder schwer, diesen Ort zu verlassen. Der Hirschsprung, der Sage nach mit einem weißen Hirsch verbunden, ist mittlerweile für Wanderer und Kletterer und alle anderen gesperrt. Vorsicht! Immer wieder, sehr gerne auch zum sogenannten Vatertag, geschehen Unfälle und es kommt zu Todesfällen. Der Hohenstein fordert auch in modernen Zeiten seine Opfer unter leichtsinnigen Zeitgenossen.

Der folgende Abstieg ist herrlich, aber auch sehr anstrengend. Teils über Treppen geht es auf wenigen hundert Metern hinab ins Blutbachtal und zur Baxmannbaude. Das Tal soll seinen Namen von der Schlacht auf dem Dachtelfeld haben, wo die Sachsen die Franken schlugen und danach das Blut der Gefallenen das Wasser rot färbte. Auch um den Kaufmann Cord Baxmann rankt sich eine alte Legende. Der Süntel hält also neben seinen natürlichen Erlebnissen auch noch jede Menge Stoff für den Wissbegierigen bereit. An der nur an Wochenenden geöffneten Baude kann man eine Rast einlegen, bevor man im Blutbachtal hinabläuft zur Pappmühle. Das Riddekreuz steht seit über 400 Jahren für eine Tragödie alter Zeiten. Der Reitknecht Hans Ridde, der wenig später heiraten wollte, wurde an dieser Stelle während einer Sauhatz von einem Keiler schwer verwundet und starb kurz darauf. Seine Verlobte verschwand kurz darauf, wobei man vermutet, sie habe sich in die Weser gestürzt. Am oft zugeparkten Großparkplatz vorbei geht es weiter zur Pappmühle, an der man sich gerne auch pappsatt essen kann – momentan nur, wenn man brav geimpft und getestet wurde. Wir wenden uns zum Wald hinauf, mit schönem Rückblick zum Hohensteinmassiv. Weiter oben hat man noch bessere Aussichten. An der Kuckucksbuche, die wohl dem Alter, den Stürmen und/oder der Trockenheit zum Opfer gefallen ist, befindet sich noch einmal ein toller Rastplatz mit kleiner Zwergen-Schutzhütte. Hier konnten wir auch ohne Spritze und Rachenabstrich unsere selbst mitgenommenen Vorräte aufbrauchen und hier nahmen wir Abschied vom Hohenstein und begaben uns ein letztes Mal in den Wald. An einem weiteren Rastplatz geht es dann hinaus in die Feldmark, durch die wir dann wenige hundert Meter weiter unseren Ausgangspunkt am Forsthaus Bensen erreichen.   

Am Ende eines Tages...

Wieder einmal eine kurze Beschreibung für eine Wanderung, über die man Bücher schreiben könnte, wenn man sich mit allen natürlichen und kulturellen Aspekten beschäftigen würde. Aber das soll jeder für sich entscheiden und Quellen im weltweiten Informations- und Desinformationsnetz gibt es viele. Der Hohenstein war, ist und bleibt eine der Paraderouten im Weserbergland. Dazu ist die größte Felsformation Niedersachsens einfach zu einmalig. Klar ist das im nationalen oder internationalen Vergleich wenig, aber das macht für mich auch den Reiz der südniedersächsischen Landschaft aus. Hier ist alles etwas kleiner, etwas unaufgeregter, etwas schwerer zu finden, dafür aber auch immer sturmfest und erdverwachsen.

Letzte Beiträge aus dem Landkreis