Blick von der Warte

Blick von der Warte

Wie die Erinnerungen einem manchmal Streiche spielen. Da ich nicht herausfinden konnte, wann genau welcher nordhessische Premiumweg entstanden ist, bin ich mir nicht mehr sicher, wann wir wo den ersten absolviert haben. Gefühlt waren wir auf einigen Premiumwegen, bevor sie als solche ausgewiesen wurden, als wir Anfang der 2000er Jahre das Werratal für uns entdeckten. Im Speziellen war es die Gegend bei Witzenhausen, wo es einen der leckersten Kirschweine überhaupt gibt. Aber eigentlich ist es ja auch egal, wer und wie und warum. Nach einigen etwas “ruppigen”, selbstgebastelten Touren im erreichbaren Teil Hessens, verlegten wir uns dann weitestgehend darauf, mehr und mehr nur noch auf diesen Premiumwegen zu wandern. Mittlerweile ist es so, dass wir einige von ihnen mehrere Male gegangen sind, einige einmalig und etliche auch noch gar nicht. Im letzten Jahr waren wir ja bereits auf einem der “Paradewege” Nordhessens unterwegs, dem P1 Hoher Meißner. Dieses Jahr setzten wir die Reihe erst einmal mit einem weiteren Knüller fort, dem P9 Wacholderpfad Roßbach. Egal aus welcher Richtung man in diese Gegend kommt, es ist ein wahrer Augenschmaus. Innerhalb unseres wanderbaren Beutespektrums gibt es keine zweite Landschaft wie diese bei Roßbach, denn die Kalkmagerrasen-Gebiete bieten sich durch die Aufteilung in fünf Teilstücke exzellent für eine Rundwanderung an. Starten kann man an verschiedenen Stellen.

Wir taten es am schattigen Parkplatz Wolfsberg, ausgestattet mit Wiese, Bänken, Tischen, einem Wassertretbecken und Bachlauf. Was will man noch mehr, wenn man mit heiß gelatschten Füßen wieder zurück am Ausgangspunkt ist? Geht man mit oder gegen den Uhrzeigersinn? Keine Ahnung. Ich frage mich oft, welche Kriterien bei uns eine Rolle spielen, wenn es um die Richtung geht. Manchmal gibt es Gründe, wie zum Beispiel Durststrecken, die man gleich am Anfang hinter sich bringen will. Manchmal fordert mein besseres Drittel eine bestimmte Laufrichtung aufgrund der Sonneneinstrahlung oder Windrichtung ein. Ansonsten ist es wohl eine Gefühlsangelegenheit. Dieses Mal gingen wir ohne besonderen Grund, einfach aus Gewohnheit, weil es letztes Mal ebenso war, gegen den Uhrzeigersinn. Also geht es erst einmal in den Wald des Wolfsberges. Anfangs wandern wir auf einem schmalen Pfad durch den freundlichen Wald, dann geht es weiter auf einem etwas breiteren Weg. Das Jahr schreitet voran, die frühen Frühblüher sind weitestgehend ausgeblüht und der Wald “verkrautet” zusehends. Dieses Jahr fiel uns besonders die Knoblauchsrauke auf, die in manchen Wäldern fast flächendeckend wuchs. Aufessen wäre eine Möglichkeit, denn das etwas in Vergessenheit geratene Gewürzkraut kann ähnlich wie der Bärlauch verwendet werden. Da der Geschmack der Rauke nicht ganz so intensiv ist, kann man zum Beispiel im Salat sehr viel davon verwenden. Ziemlich lecker!

Kleiner Hinweis am Rande: Wir haben an einigen wenigen Stellen den vorgegebenen Pfad verlassen und so habe ich auch den Track “manipuliert”. Hier kann sich natürlich jeder vor Ort selbst entscheiden. Die zwei sehr kurzen Verlegungen und die kurze Verlängerung um den Ameisenkopf kann ich allerdings nur empfehlen.

Premium-Ausschilderung

Premium-Ausschilderung

Nach dem Verlassen des Waldes am Wolfsberg geht es über die Straße und in das erste Teilstück des Naturschutzgebietes Kalkmagerrasen bei Roßbach an der (Dohrenbacher) Warte. Ob hier im Mittelalter ein Wartturm stand oder ob der Berg selbst schon als Aussichtspunkt genügte, war nicht herauszufinden. Aber auf jeden Fall ist das ein Erlebnis. Auf dem Weg zur ersten Aussichtsbank stehen zur rechten Zeit die ersten Exemplare des Dreizähnigen Knabenkrauts, das hier im Naturschutzgebiet seinen größten Bestand in Deutschland hat. Massenvorkommen wie zum Beispiel auf den Kalkmagerrasen bei Dalhausen, sucht man vergebens, aber die vielen Einzelvorkommen ergeben eine insgesamt sehr große Anzahl. Die Aussichtsbank am Nordrand der Warte lädt zum Verweilen ein, dann geht es weiter über die Höhen des weitestgehend offenen Berges. Störend sind die mittlerweile zahlreich gewordenen Windmeiler im Kaufunger Wald. Ob nachfolgende Generationen darüber den Kopf schütteln werden und über uns und unseren Sinn ähnlich denken, wie wir es heute tun, wenn wir an die Taten vorangegangener Generationen denken? Vielleicht wahrscheinlich! Neben dem Dreizähnigen Knabenkraut finden sich zahlreiche andere Orchideen in und um die Gebiete des Naturschutzgebietes. Entdecken konnten wir an diesem Tag noch Weißes Waldvöglein, Fliegen-Ragwurz, Helm-Knabenkraut und das Stattliche Knabenkraut.

Im Mai gibt es aber auch noch zahlreiche andere Pflanzen, wie zum Beispiel Kornblume, Klatschmohn, Knöllchen-Steinbrech, Dolden-Milchstern, Herbstzeitlose (Blätter), Saat-Esparsette und zahlreiche Exemplare der Gemeinen Akelei, wobei die teils hohe Farbvarietät darauf hindeutet, das es sich nicht immer um rein natürliche Bestände handelt. Zahlreiche Schmetterlinge torkelten durch die Lüfte, kurz konnten wir sogar den ersten Schwalbenschwanz des Jahres verzeichnen, der allerdings keine große Lust verspürte, sich von uns begaffen zu lassen. Nicht vergessen darf man natürlich den Gemeinen Wacholder, der sehr ansehnlich verteilt als Charakterpflanze der Teilgebiete die Hänge besiedelt. Es ist auf jeden Fall ein echter Knaller, hier zu wandern und so erreichen wir beschwingt den Aussichtsplatz auf der Warte, von dem aus man einen weiten Blick über die Wacholderhänge hat. Danach geht es eine ganze Strecke mehr oder weniger durch die Feldmark. Bäume, Sträucher, Pflanzen und Tiere am Wegesrand und Aussichten lassen keine große Langeweile aufkommen. Am Pfaffenberg, der nicht zum Naturschutzgebiet zählt, erwarten uns trotzdem wieder zwei Trockenrasengebiete mit der typischen Flora und Fauna. Nimmt man den kleinen Abstecher, den wir hier vom P9 machten, hat man eine prächtige Aussicht in die Landschaft südlich von Witzenhausen. Dann geht es hinab ins Tal des Wilhelmshäuser Bachs, der uns nach Ellingerode führt. 

NSG Kalkmagerrasen bei Roßbach

NSG Kalkmagerrasen bei Roßbach

Das etwa 55 Hektar große Naturschutzgebiet Kalkmagerrasen bei Roßbach, das aus historischen Huteflächen zusammengesetzt ist, wurde 1995 ausgewiesen und besteht aus verschiedenen Lebensraumtypen und Biotopen, wie zum Beispiel Halbtrockenrasen auf Kalk, mageren Flachland-Mähwiesen, Streuobstwiesen und extensiv bewirtschafteten Äckern. Es umfasst Bergkuppen, Bergrücken und Hangbereiche einer stark gegliederten Zechstein-Landschaft im Kleinalmeröder Hügelland. Die fünf Teilstücke sind Dohrenbacher Warte, Kalkrain, Keßstieg, Ameisenkopf und Großer Hesselberg. Zehn Orchideenarten sind für das Gebiet nachgewiesen, unter anderem das Stattliche Knabenkraut und die Herbst-Drehwurz. Das Dreizähnige Knabenkraut hat hier mit mehreren zehntausend Exemplaren seinen größten Bestand in Deutschland.  Schützenswerte Pflanzenarten sind neben den Orchideen zum Beispiel der Acker-Rittersporn, das Sommer-Adonisröschen, Fransen-Enzian und Deutscher Enzian. Schützenswerte Tierarten sind zum Beispiel die Kreuzkröte, die Zauneidechse, der Neuntöter und die Schlingnatter. Regional und überregional seltene Schmetterlingsarten sind zum Beispiel der Skabiosen-Scheckenfalter, der seit 2007 nicht mehr nachgewiesen werden konnte, der Komma-Dickkopffalter, Roter Würfel-Dickkopffalter und der Silbergrüne Bläuling.

 

Ellingerode ist klein und beschaulich und nach wenigen Metern geht es wieder hinaus und hinauf in Richtung Großer Hesselberg. Sobald wir aus dem kleinen Waldstück hinaustreten, erwartet uns wieder ein aussichtsreiches Trockengebiet, in dem sich Zahlreiches bestaunen lässt und mehrere Infotafeln über einzelne Aspekte des Gebiets informieren. Dann geht es nach wenigen hundert Metern schon wieder hinab zur Landstraße 3389, an der bei unserem Besuch ein Hanffeld stand. Da hierzulande nicht viel davon angebaut wird, durchaus eine Besonderheit. Auf einem Grasweg geht es hinauf in die Landschaft der Naturschutzgebiet-Teilstücke Keßstieg und Ameisenkopf. Eigentlich geht es zwischen den beiden herrlichen Hügeln hindurch, wir entschieden uns für eine Verlängerung um den Ameisenkopf herum und wurden nicht enttäuscht. Eine große Schafherde erwartete uns zwischen den Bergen und dann eine wanderbare Verlängerung am Ameisenkopf, die man nur gehen kann, wenn hier nicht gerade “gemäht” wird. An den Hängen des Ameisenkopfs stehen zahlreiche Exemplare des Dreizähnigen Knabenkrauts und am Ende, bevor wir wieder auf den P9 gehen, wartet eine hoffentlich unbesetzte, nette Pausenbank.

Auf dem Blocksberg

Auf dem Blocksberg

Vom nachfolgenden Aufstieg oberhalb des Verlorenen Bachs hat man noch einen schönen Rückblick auf die gerade erlebte Gegend. Ein weiterer schöner Weg oberhalb des Bachs führt uns in eine Wiesen- und Weidenlandschaft. Pferde grasen hier zur rechten Zeit unter Kirschbäumen auf den Löwenzahnwiesen. Eine tolle Landschaft abseits des Naturschutzgebiets. Dessen offiziell letztes Teilstück erreichen wir auf einem Umweg. Erst geht es hinab in Richtung Roßbach, dann steil durch den Kalkmagerrasen des Kalkrain hinauf. Schon unbeschreiblich schön ist es hier oberhalb des idyllisch gelegenen Ortes und auf einem schmalen Pfad geht es mitten durch die Pflanzenpracht. Hinterm Kalkrain wandern wir hinab bis an den Rand von Roßbach in ein kleines Bachtal, dann auf einem Stokelpfad hinauf zum Blocksberg, der zwar nicht mehr zum Naturschutzgebiet zählt, was einem beim Durchwandern allerdings gar nicht auffällt. Denn hier wartet noch einmal alles, was das Herz begehrt und gerade die hier vorkommenden, großen Bestände der Gemeinen Akelei sind schon ein echter Hingucker. Es heißt langsam Abschied nehmen von dieser traumhaften Landschaft. Noch einmal wandern wir durch die schöne Feldmark am Blocksberg, an dem es einen großen Wiesen-Wanderparkplatz gibt, der wohl nicht mehr ausgeschildert ist. Wer es etwas abseitiger mag, kann auch hier sehr angenehm parken. Nach kurzer Strecke erreichen wir schließlich wieder unseren Ausgangspunkt am Fuße des Wolfsberges.

Am Ende eines Tages...

Die nordhessischen Premiumwege, mittlerweile sind es über 20, sind schon lange keine Geheimtipps mehr. Da man in Nordhessen, wie wir in der Vergangenheit am eigenen Leibe erfahren mussten, einiges “falsch” machen kann, sind sie auf jeden Fall zu empfehlen und können auch als Anregungen für weitere Erkundungen genommen werden. Der Premiumweg P9 Wacholderpfad Roßbach gehört auf jeden Fall zu den schönsten seiner Art. Viel Spaß auf allen wanderbaren Wegen…

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