Der Frau-Holle-Teich im Jahr 2013

Der Frau-Holle-Teich im Jahr 2013

Da wir nur wenige Gegenden im südlichen Teil unseres Landes kennen, kann ich den Nordhessischen Premiumwegen oder zumindest den meisten von ihnen attestieren, dass sie zu den schönsten “vorgefertigten” Wegen gehören, die der nördliche Teil der Republik zu bieten hat. Wir sind etliche eigene Wege in der Gegend gegangen, als es die Premiumwege noch nicht gab bzw. wir nichts von ihnen wussten und es war ein bunter Mix aus großartigen Erlebnissen und ebensolchen Reinfällen. Viele nordhessische Wälder zeigen auf Satellitenbildern den in Deutschland weitverbreiteten “Flickenteppich-Anblick”, der schon darauf hinweist, dass Wandern hier nur für Hartgesottene ein Erlebnis ist. Die Premiumwege umgehen diese unwanderbaren Gegenden oft und der Weg am Meißner, dessen Kuppe ebenfalls einen hohen Bestand an Gemeinen Fichten aufweist, ist ein Paradebeispiel dafür. Geschickt werden nahezu alle dunkelgrünen Flecken umgangen, bis auf die an der unvermeidlichen Kasseler Kuppe. Und auch hier ist der Wald, dessen Fichtenbestand wohl glücklicherweise allerorten geringer wird, bereits im Umbruch befindlich. Ob diese Entwicklung für uns Wanderer nur Vorteile bringt, darf allerdings bezweifelt werden. Harren wir geduldig der Dinge, die da kommen werden und deren Entwicklung wir meistens eh nur in unserer Einbildung beeinflussen können. Wir zumindest versuchen die nächsten Jahre mal, alle oder zumindest alle uns wanderbar erscheinenden Premiumwege noch einmal oder zum ersten Mal zu erwandern. Ganz der Reihe nach beginnen wir also mit dem ganzheitlich betrachtet wunderbaren Premiumweg 1 am Hohen Meißner.

Dass der ursprünglich Wissener genannte Meißner eventuell “Der Weiße” bedeutet, wohl wegen des hier recht früh einsetzenden Winters, erscheint manchmal durchaus plausibel. Wir wollten hier vor einigen Jahren an einem recht angenehmen Herbsttag eine Tour am Fuße des Berges starten und mussten wegen starken Windes und 11 Grad Temperatur abbrechen, da wir keine entsprechende Kleidung dabei hatten. Wir wanderten dann im nicht allzu weit entfernten Leinebusch bei Göttingen, wo es deutlich milder und windstiller war. Der “Brocken Nordhessens”, der Meißner, hat es also in sich und das in vielerlei Hinsicht. Vieles hat er erlebt und auf der heutigen Tour werden wir zahlreichen Zeugen der reichhaltigen Natur und Kultur des Meißner begegnen. Der Start erfolgt recht optimal am Frau-Holle-Teich, da die Strecke an der Kasseler Kuppe auch schon die “Durststrecke” des Tages darstellt. Der Teich selbst, im weiten Umkreis das höchstgelegene Stillgewässer, hat schon eine starke Ausstrahlung. Funde aus der Steinzeit und der Zeit der römischen Kaiser lassen vermuten, dass dieser Ort unseren Vorfahren lange Zeit als heilig galt. Erste Erwähnung fand er in der Mitte des 17. Jahrhunderts, auch damals schon in Verbindung mit Geschichten zur Person der sagenumwobenen Frau Holle. Sie soll in Rauhnächten an der Spitze der Wilden Jagd reiten, um die Seelen der Verstorbenen in dem unendlich tiefen Teich in die Anderwelt zu geleiten. Ein schöner Platz, wenn man ihn denn zu bestimmten Zeiten ohne großen touristischen Trubel genießen kann. Mit etwas Glück kann man am Ufer des Teiches und auf der kleinen Wiese schon einen Blick auf einige botanische Raritäten erhaschen, wie Wollgras, Teichrosen und Orchideen.

An der Kasseler Kuppe

An der Kasseler Kuppe

Auf dem Eulenstieg geht es erst einmal in Richtung Kasseler Kuppe. Auf dem romantischen Pfad, der durch ein kleines Bachtal hinaufsteigt, erfährt man mehr über die hier am Meißner heimischen Eulenarten. Nach ein paar hundert Metern erreichen wir den breiten Forstweg, der uns zum höchsten Berg Nordosthessens führt. Hier durchqueren wir unvermeidlich die noch großflächig vorhandenen Fichten-Monokulturen, die im Zuge des Bergbaus entstanden. Auch der lässt sich am Wegesrand an einigen Stellen erkennen. Wir gehen, ohne dass wir allzu viel davon mitbekommen, zwischen dem Weiberhemd und einem ehemaligen Bergbaugebiet hindurch. Das Naturschutzgebiet Weiberhemd ist ein kleiner Teil des viel größeren Naturschutzgebietes Meißner und umfasst ein noch etwa 1 Hektar großes Hangquellmoor mit zahlreichen schutzbedürftigen Pflanzenarten. Vielleicht gibt es irgendwann die Möglichkeit, dieses Gebiet dem Wanderer etwas näherzubringen, aber Schutz soll ja auch immer vor Erlebnis kommen. Die Kasseler Kuppe an sich ist auf den ersten Blick (noch) relativ uninteressant. Große Rodungen an Fichtenbeständen zeugen vom Wandel des Waldes, der sich hier oben hoffentlich bald etwas natürlicher präsentiert. Aber auch das gehört halt zum Meißner dazu und auch hier kann man zur rechten Zeit am rechten Ort durchaus trotzdem etwas erleben, wie zum Beispiel Lupinen und Weidenröschen auf den Sukzessionsflächen.

Wir kehren dem aussichtslosen Berg den Rücken und wenden uns “Erfreulicherem” zu. Noch eine Zeit geht es auf breitem Weg durch den Forst, dann zieht es uns nach rechts hinab. Auf einem schmalen Pfad wandern wir an einem weiteren Teilgebiet des Naturschutzgebietes entlang, der Struthwiese. So spät im Jahr war hier leider schon gemäht, so dass wir nicht viel von den artenreichen Wiesen mitbekamen. Über den Viehhausparkplatz geht es jetzt endlichen in den freundlichen Rotbuchen-Mischwald, der uns auch auf dem Großteil der restlichen Strecke erhalten bleibt. Als wir vor 6 Jahren das letzte Mal hier waren, gab es etliche kleine Kunstinstallationen, von denen ich eine auch in die Galerie gestellt habe. Davon ist leider nichts mehr erhalten geblieben. Trotzdem ist der Weg hier erlebenswert und das ändert sich auch nicht bis zur Kitzkammer, zu der wir als nächstes hinabsteigen. Die ist Kitzkammer ist eine der faszinierendsten Stellen am Meißner. Vor Jahrmillionen drang hier Lava durch Spalten in der Erdoberfläche, kristallisierte aus und bildete den heute so gut erkennbaren, fünf- und mehreckigen Säulenbasalt. Es ist nicht wirklich erstaunlich, dass sich auch um diesen Ort Sagen um die Figur der Frau Holle gebildet haben. Ob die Kitzkammer dereinst von den Katzen Frau Holle’s bewohnt wurden oder eher von Käuzchen, bleibt wohl ein ewiges Rätsel. Hinter der faszinierenden Basaltlandschaft geht es noch ein Stückchen hinab durch den Wald oberhalb von Hausen, dann hinauf in die Wiesen des Meißner.

Das Naturschutzgebiet Meißner

Das Naturschutzgebiet Meißner

Das zu den größten Schutzgebieten Hessens zählende Naturschutzgebiet Meißner ist in der 1989 ausgewiesenen Ausdehnung ca. 931 Hektar groß. Einzelne Teile wurden bereits ab 1921 als schutzwürdig ausgewiesen. Neben den Hangwaldgebieten, die einen Großteil des Naturschutzgebietes einnehmen, gibt es etliche kleinere Teilbereiche, wie zum Beispiel das Weiberhemd, ein kleines Hangquellmoor mit Erlenbruchwald, die artenreichen Hutewiesen zwischen Hausen und dem Meißnergipfel (Struthwiese, Viehhauswiese, Hausener Hute) und die Blockschutthalden auf der Ost- und Südseite des Bergmassivs. Daneben gibt es am Meißner noch schutzwürdige Einzelstrukturen wie den Frau-Holle-Teich, die Kitzkammer, die Seesteine und die Kalbe. Diese Bandbreite an natürlichen Strukturen macht das Naturschutzgebiet zu einem faszinierenden Erlebnis, das seinesgleichen sucht. Entsprechend ist auch die Flora sehr reichhaltig. Seltene Arten, die man am Meißner findet, sind unter anderem Brauns Schildfarn, die Trollblume und die stellenweise massenhaft vorkommende Prachtnelke.

Das ist schon ein schöner Moment, wenn man den Wald verlässt und die freie Fläche betritt. Weit hinauf zum Gipfel des Hohen Meißner reicht der Blick und mit jedem Meter hinauf wird auch der rückwärtige Blick in die weite Umgebung besser. Auf den artenreichen Wiesen tummeln sich in den drei mehr oder weniger warmen Jahreszeiten jede Menge interessante Exemplare der Flora und Fauna. Bei unserem etwas späten Besuch wurden wir von einem Massenbestand der wunderbaren Prachtnelke empfangen. Die kannten wir bereits von verschiedenen Plätzen, wie dem Langenberg bei Bad Harzburg oder dem Grevelberg/Galgenberg bei Othfresen, aber solche Bestände waren ein spektakuläres Novum. Bei unserem letzten Besuch hatten wir hier zum Beispiel auch unsere erste Begegnung mit der Echten Betonie und zahlreiche Waldhyazinthen bevölkerten die Wiesen. Auf jeden Fall kann ein Aufstieg hier nicht langweilig werden. Auf der Kuppe ist der Ausblick über die Offenflächen ins weite Umland reichhaltig und erstaunlich. Hier kann man erleben, wie exponiert dieser Gipfel liegt und dass man schon weit in den Harz, die Rhön und den Thüringer Wald reisen muss, um in solche Höhen zu gelangen. Ebenso kann man auf dem Gipfelplateau noch ein wenig stöbern, einkehren oder sich mit der Geschichte des Meißner beschäftigen, der seinen heutigen Namen erst im Rahmen der Jugendbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts erhielt.

Wanderbare Landschaft am Meißner

Wanderbare Landschaft am Meißner

Irgendwann heißt es Abschied nehmen. Eine Zeitlang wandern wir auf dem Plateau, genießen die teils parkähnlich anmutende Landschaft und die offene Weite, dann geht es wieder hinab in den Laubwaldgürtel. Das ist aber auch gut so, denn das Gipfelplateau ist immer noch von den unsäglichen Brotbäumen (nicht nur) des Bergbaus dominiert. Der Premiumweg ist da ziemlich geschickt ausgewählt worden. Auf schmalem Serpentinenpfad geht es also durch den sehr freundlichen Wald mit immer wieder altem Baumbestand, dann auf einem ebenfalls schönen Waldweg zu den Seesteinen. Spätestens hier sollte man die etwas “durstige” Strecke am Anfang völlig vergessen haben und sich fragen, was einem hier eigentlich an einem Wandertag noch alles so geboten werden könnte. Die Seesteine sind eine Felsformation oberhalb eines ehemaligen Sees, der mittlerweile nahezu verlandet ist und von dem wir nichts mitbekommen. In den 1880er Jahren, die Leute hatten trotz langer, harter Arbeit und wenig Geld immer noch genug Zeit und Liebe zur Heimat, wurde hier von Forstleuten, Naturfreunden und Wanderern eine Naturparkanlage angelegt, die wohl weithin ihresgleichen sucht. Etliche kleine Pfade erstrecken sich am Hang, man kann sich vom Gedankenpfad inspirieren lassen, seinen eigenen Gedanken nachhängen und eine Rast einlegen. Eine Infotafel weist auf den hier vorkommenden, extrem seltenen Brauns` Schildfarn hin. Ein sehr schöner Ort, der zeigt, dass der Mensch nicht immer nur zerstören kann und alles nach seinem Gefallen ordnen muss, sondern sich auch mal der von wem auch immer gegebenen Ordnung ergeben und Schönheit einfach Schönheit sein lassen kann. Für mich persönlich das Highlight eines an Highlights nicht gerade armen Tages. Ein schmaler Pfad schlängelt sich zwischen den faszinierenden Felsformationen hinauf. Eine Aussicht gibt es nicht, aber das wäre dann wohl auch zu viel des Guten.

Hinter den Seesteinen geht es auf weiterhin weitestgehend freundlichen Wegen durch ebensolchen Wald mit Blockschutthalden am Wegesrand. Da die Wanderung schon wieder über zwei Monate her ist und ihr noch mehrere folgten und ich nicht mehr der Jüngste bin, verblassen die genauen Erinnerungen. Schließlich erreichen wir den Abzweig, der uns auf einem schmaler werdenden Weg zum Haus Halde und zum Neuen Erbstollen führt. Im 16. Jahrhundert war das zum Beispiel in Bad Sooden-Allendorf durch Siederei gewonnene Salz eine wichtige Einnahmequelle der hessischen Landgrafen. Um die Siedepfannen zu betreiben, bedurfte es, nachdem die zugewiesenen Wälder weitestgehend zur Herstellung von Holzkohle gerodet waren, des Rohstoffs Kohle, die in Form von Braunkohle auch am Meißner vermutet wurde. Nach etwas Trial-and-Error durch die Bergleute wurde ab dem Ende des 16. Jahrhunderts an mehreren Stellen im Meißner das “Schwarzbraune Gold” abgebaut. Eines der Abbaugebiete war das am Schwalbenthal. Hier am Neuen Erbstollen und Carlsstollen standen einst mehrere Gebäude, die der Bergbauverwaltung und auch als Wohnung für Handwerker dienten. Heute kann man den wohl versiegten “Bergbau-Wasserfall”, das letzte erhaltene Gebäude von 1755 und den beleuchteten Eingang des Neuen Erbstollens bewundern, der 1628 aufgefahren wurde. Rasten kann man hier auch sehr schön, bevor es weiter zum Schwalbenthal geht. Vorbei am zugehörigen Friedhof erreichen wir den ehemaligen Bergort Schwalbenthal. Seit dem Beginn des Bergbaus bis Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs hier ein kleines “Dörfchen” heran, in dem unter anderem die “Bergbeamten” lebten. Zu Erdrutschen, bedingt durch den Bergbau, kam es immer wieder.

An den Seesteinen hinauf

An den Seesteinen hinauf

Im Jahr 1907 mussten nach einem besonders schweren Ereignis alle Häuser bis auf das des Berginspektors abgerissen werden. Auch dieses ist heute durch die stetige Bewegung im Untergrund massiv bedroht und darf aktuell nicht bewohnt werden. Vom kleinen Parkplatz hat man eine hervorragende Aussicht ins Umland des Hohen Meißners, das mit etlichen Wanderwegen lockt. Danach geht es eine Zeitlang auf schmalem Pfad parallel zur Landstraße 3242, die bei unserem Besuch glücklicherweise mal wieder zwischen dem Frau-Holle-Teich und dem Schwalbenthal gesperrt war. Auf dieser Strecke kann man den charakteristischen Geruch der teilweise seit mehreren Jahrhunderten unterirdisch schwelenden Braunkohle wahrnehmen. Oberhalb unseres Weges befindet sich die Stinksteinwand, die man auch im Rahmen einer Führung besuchen oder zu der man einen Abstecher machen könnte. Inwieweit man dort etwas sehen kann vom austretenden Rauch der Kohle, kann ich nicht sagen, da wir dort leider noch nicht waren. Unvermeidlich erreichen wir den tollen, aussichtsreichen Pfad, der uns auf die Kalbe führt und der es aus der Erinnerung heraus in sich hat. Da wir dieses Mal aus purer Faulheit den unteren Weg nahmen, was wir im Nachhinein aber wiederum etwas bereuten, ist auch dieser Weg nur noch schwache Erinnerung. Auf der Kalbe selbst kann man noch einen Abstecher zum Gipfel machen, von dem die Aussicht noch einmal richtig genial sein soll. Am unterhalb gelegenen Kalbesee gibt es auf jeden Fall noch eine Aussicht in den Berg(bau)see und eine Rastmöglichkeit, bevor es, wahrscheinlich vollkommen beschwingt von etlichen Erlebnissen, zurückgeht zum Ausgangspunkt am Frau-Holle-Teich.

Am Ende eines Tages...

Eine “Durststrecke” am Beginn, jede Menge tolle Erlebnisse, viel Natur und Kultur, fantastische Aussichten und Einsichten – der Premiumweg P1 am Hohen Meißner ist ein würdiger Beginn für die nordhessischen Premium-Wanderwege. In den letzten Jahren waren wir ja ohne Auto unterwegs und mittlerweile gibt es wohl 23 dieser ausgewiesenen Wege. Etliche davon haben wir vor vielen Jahren gemacht, einige noch einmal vor wenigen Jahren. Ein paar Touren hatten leider auch echte Geberqualitäten, ein paar gehören aber auch zu den schönsten Wegen, die wir je erwandert haben. Da die Haupt-Wandersaison des Jahres 2019 sich langsam dem Ende nähert, wird es vielleicht erst nächstes Jahr klappen, wobei auch die Ith-Touren, der Karstwanderweg und etliches andere locken und reizen. Egal, wie lange es noch dauern mag, ich freue mich tierisch auf die nordhessischen Premiumwege…

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