
Am Waldrand der Klusberge
Wer hat uns betrogen? Meteorologen! Statt angesagter 9 Stunden Sonne gab es – exakt 0,00 Stunden. Sogar ein bisschen getröpfelt hat es zwischendurch. Das wäre natürlich Jammern auf höchstem Niveau, wenn ich es denn ernst meinen würde. Aber von Anfang. Spontan hatten wir beide frei und ich überlegte bis in die Nacht hinein, um aus den mittlerweile über 100 vorbereiteten Touren uns eine auszusuchen, die jetzt mit dem Auto wieder möglich ist. Sechs hatte ich vor ausgesucht und am Morgen sollte die Entscheidung fallen. Einer der Vorteile, wenn man nicht in einer Gruppe, einem Verein wandert, ist das man spontan alles umwerfen kann. Das taten wir morgens dann auch und ich puzzelte schnell eine Tour in den Klusbergen zusammen, die wir nur einmal auf einem Weg durchwandert hatten, ohne einen der drei großen Felsen direkt zu erreichen. Eine etwas ungewöhnliche Wegeführung mit vermuteter Durststrecke am Anfang, die sich aber als komplett völlig genial erwies – trotz des Wetters. An der Perlenkette des Nordharzes prangt jetzt ein weiteres Schmuckstück. Meine „Lieblings-Landschaft“ ist um ein Detail reicher geworden. Bei der Recherche zu unserer letzten Tour am Ziegenberg stieß ich teilweise an die Grenzen der zeitlich begrenzten Online-Recherche und fand enttäuschenderweise so gut wie nichts über die „Wegranderscheinungen“ dieser Wanderung heraus.
Das ist dieses Mal glücklicherweise völlig anders und es würde wieder einmal den Beitrag sprengen, auf alles Interessante eingehen zu wollen. Darum schneide ich hier im Beitrag auch immer nur das „Wichtigste“ an und liefere eventuell ein paar Links zur eigenen Recherche bei Bedarf. Das alte Halberstadt selbst ist, ähnlich wie unsere heimatliches „Basecamp“ Hildesheim, im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges in fast beispiellosem Maße untergegangen. Wenig ist erhalten, das Wenige wurde aber liebevoll rekonstruiert und wird liebevoll gepflegt. Man muss die Halberstädter deshalb aber keineswegs bemitleiden, denn auch die nahe Umgebung der Stadt, nicht nur die südlich gelegenen Höhenzüge, bieten viel Raum für Erholung und Unterhaltung. Wir werden versuchen, die nächsten Jahre dieser Gegend zwischen der Domstadt und dem Harz wieder vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken. Etliche Touren haben wir damals hier gemacht und ich hoffe, dass wir alte Wege neu entdecken werden und neue Wege erkunden können. Auch der nicht immer rühmlichen Geschichte unserer Heimat werden wir uns dabei wieder stellen müssen, wollen und dürfen. Denn in dieser schönen Gegend befanden sich Orte wie das KZ Langenstein-Zwieberge als Außenlager des KZs Buchenwald, von dem aus unter anderem das Komplexlager 12 „Malachit“ errichtet wurde. Tausende Menschen starben hier durch die perfide Methode der „Vernichtung durch Arbeit“.

Königskerzen und Natternköpfe
Wir starten an der Kleingartenanlage am Felsenkeller. Von dort aus geht es zum ehemaligen Truppenübungsplatz „Klus“, der von 1913 bis 1994 militärisch genutzt wurde. Mehr als mit verständnislos dem Kopf schütteln kann ich nicht, wenn ich lese, dass hier geplant war, ein „Natur-Eldorado“ entstehen zu lassen. Dazu sollte ein Wildpark mit 200 Bisons und Info-Center geschaffen werden, ein Landhotel mit Ferienhausanlage, Themenwanderwege und ein Ausflugslokal. Muss denn wirklich jede schöne Landschaft aufs Übelste touristisch ausgebeutet werden? Wenn wir heute nach Schierke fahren, zum Torfhaus oder nach Thale, sehen wir, was der unkontrollierte und überbordende Tourismus schaffen kann. Da fährt man mal schnell mit dem fetten SUV zum Torfhaus, um da in der „harztypischen“ Bavaria-Alm eine Caipirinha zu schlürfen, sich danach im Globetrotter-Shop ein paar Wander-High-Heels zu kaufen und geht ein paar Meter zu seiner Kuschelhütte im Harzresort, um gemütlich am Elektrokamin die Natur zu genießen, während eine ausgesendete Drohne Bilder in 4K-Auflösung auf den Bildschirm zaubert. Natürlich nicht ganz ernst gemeint und letztendlich gilt: Jedem halt das Seine. Wir wollten also zuerst die vermeintliche Durststrecke am ehemaligen Truppenübungsplatz absolvieren, dessen Kasernengelände mittlerweile unter anderem von einer gewaltigen Solaranlage dominiert wird, dem bislang glücklicherweise einzig umgesetzten Teil des obigen Projektes – das aber bestimmt noch nicht zur Gänze zu den Akten gelegt wurde.
Aber entgegen aller negativen Erwartungen bekamen wir von den Anlagen nicht viel mit und die „Durststrecke“ wurde zum Entschleuniger, zum Begeisterer, zum blütenreichen Wanderpfad zwischen den schönen Klusbergen und dem ehemaligen Truppenübungsplatz. Von Sonnenpaneelen war aus unserem Blickwinkel nichts zu sehen, stattdessen gab es für uns einige Gebäudereste der militärischen Anlagen und noch viel mehr Natur. Nach wenigen hundert Metern öffnet sich die Landschaft und mit jedem Schritt gibt es neue Pflanzen zu bestaunen. Eine offene Graslandschaft mit Sträuchern und Bäumen und am Horizont grasenden Schafen, die diese Gegend freiwillig frei fressen. Neben den zahlreichen Gräsern und Flechten und unzähligen eher unscheinbaren Pflanzen, von denen wir die meisten gar nicht benennen können, gibt es eine Vielfalt, die man im und am Harz am ehesten vielleicht noch von den Oberharzer Bergwiesen kennt. Hier wachsen zum Beispiel in großen Mengen Gewöhnlicher Natternkopf, Klatschmohn, Scharfer Mauerpfeffer, Acker-Rittersporn, Gelber Wau, Kleines Mädesüß, Wiesen-Salbei, Platterbsen-Wicke, Königskerzen, Nelken, Skabiosen, Disteln und mehr. Gerade am Ende des Weges nach Osten geht es durch schier unübersehbare Blühwiesen. Das war dann glücklicherweise nichts mit Durststrecke.
Die Klusberge
Funde aus der Jungsteinzeit an der Ypsilantiquelle belegen, dass die Sandsteinformationen der Klusberge, die vor etwa 80 Millionen Jahren entstanden, bereits vor ungefähr 14.000 Jahren als Kult- und/oder Versammlungsorte genutzt wurden. Im Jahr 1070 wurden die Klusberge erstmals als im Besitz des Klosters Münzenberg in Quedlinburg urkundlich erwähnt. Damals wurde die Genehmigung zur Errichtung einer Einsiedelei erteilt und von den dort hausenden Klausnern (Einsiedlern) haben die Klusberge ihren heutigen Namen. Im 15. Jahrhundert hielten Steinmetze hier ihre Versammlungen ab, im 16. Jahrhundert nutzte wohl eine Bruderschaft der Hirten und Schäfer die „Kapelle“ auf dem Klusfelsen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der bis dahin unbewaldete Höhenzug aufgeforstet und diente fortan als Naherholungsgebiet für die Halberstädter. Die im Umland legendären Ausflugslokale „Felsenkeller“ und „Sternwarte“ entstanden. Die „Halberstädter Schweiz“ mit den drei Sandstein-Hauptfelsen (Fünffinger, Klus und Teufelsstuhl) ist in ihrer Art in Norddeutschland einzigartig und bietet im Kleinformat Anblicke, die an das Elbsandsteingebirge erinnern.
Da kamen wir nicht allzu schnell voran und wären am Katzenkopf beinahe von einer wütend aussehenden Wolke eingeholt worden. Als wir dann die leider marode Schutzhütte erreichten, wartete das Biest aber auch akkurat, bis wir weitergingen. Also ging es nach diesem wahrlich erstaunlichen Anfang erst einmal abgedunkelt und etwas feucht zu den Klusbergen, die wir jetzt noch dreimal weitestgehend der Länge nach durchstreifen – ohne, wenn alles gut geht, auch nur einmal denselben Weg zu gehen. Gleich mal zur Pflanzenwelt des Berges: Klar gibt es hier noch andere Pflanzen, aber gefühlt beherrscht in den Klusbergen das Kleine Springkraut einen Großteil des Waldbodens. Solche Mengen haben wir noch nirgendwo gesehen. Das Kraut ist aber eigentlich kein „Verdränger“, sondern nutzt eher ansonsten ungenutzte Areale. So gesehen ist der grüne Dschungel, der sich uns hier teilweise präsentiert, vielleicht besser als ein relativ nackter Waldboden. Auf freundlichen Wegen geht es durch den ebenso freundlich daherkommenden Mischwald zum ersten Aussichtsplatz, von dem aus wir einen mittlerweile eingeschränkten Blick auf den Klusfelsen haben. An dieser Stelle sei gleich erwähnt, dass sich momentan (Juni 2019) eigentlich alle Bänke, Rastplätze und Hütten am Weg leider in einem mehr oder weniger maroden Zustand befinden. Der Abstecher zum Teufelsstuhl, zur Teufelskanzel, lohnt sich auf jeden Fall. Der begehbare Felsen bietet einen noch besseren Ausblick auf den Klus- und auch auf den Fünffingerfelsen. Vorsicht ist auf allen Felsen geboten, denn hier ist absolut nichts gesichert oder abgesperrt. Das animiert wohl leider viele dazu, überall hin zu latschen und sich in dem porösen Gestein der Felsen zu verewigen. Ein wenig Respekt und Rücksicht wären wünschenswert, werden aber in dieser Welt meistens nur heruntergebetet und so gut wie nie gelebt.

Impressionen vom Fünffingerfelsen
Vom Teufelsstuhl geht es zurück zum vorher gegangenen Weg und dann weiter durch das Springkraut-Meer zu einem Rastplatz an einem „Wasserschlösschen“ (hübscher Wasser-Hochbehälter). Eine Treppe führt von hier hinab zum Gelände des Felsenkellers. Die schönen Ausblicke, die wieder bestens einsehbaren Felsen verdanken wir übrigens einer großangelegten Aktion, die erst Ende 2017 durchgeführt wurde. Mal sehen, wie lange es dauern wird, bis hier wieder alles zugewachsen ist. Wir werden hier auf jeden Fall bald noch einmal bei Kaiserwetter – falls wir nicht wieder „betrogen“ werden – vorbeischauen. An dieser Stelle erwähne ich gleich auch, bevor ich es vergesse, den Verein „Halberstädter Berge e.V.“, der sich wunderbar um die Klusberge, Thekenberge und die Spiegelsberge bemüht. Auch der Treppenabgang ist wegen des Vereins-Engagements noch begehbar. Diese Treppe führt, wie bereits erwähnt hinab zum Felsenkeller, einer der ehemals vielen Waldgaststätten der Umgebung Halberstadts. Auf alten Karten, aber natürlich auch in natura, kann man die in den umliegenden Bergen gelegenen, oft als legendär bezeichneten Ausflugsziele bzw. deren Überreste noch gut erkennen. Wartburg, Felsenkeller, Sternwarte, Landhaus, Molkenmühle, Lindenberg, Hubertus und Neu Kamerun waren einige von ihnen. Ob noch eines der Waldhäuser als Gaststätte existiert, weiß ich nicht genau. Die von uns in den letzten 10 Jahren besuchten waren alle untergegangen. So auch der Felsenkeller, der 1837 erstmals als Gaststätte eröffnet wurde und wohl erst kurz nach der Wende seine Tore schloss. Die Felshöhlen soll es aber schon wesentlich länger gegeben haben.
Ebenso wie einige andere der eben genannten Häuser war auch der Felsenkeller in die unrühmlichen Geschehnisse der 1940er Jahre eingebunden. Hier und an der „Sternwarte“ wurden unter den Decknamen „Makrele 1 und 2“ unterirdische Verlagerungen von kriegswichtigen Betrieben errichtet. In diesem Fall waren es die Junkers-Zweigwerke, die hier unter anderem mit Hilfe von KZ-Häftlingen Flugzeugteile für die Junkers JU-88 bauten oder bauen wollten. Hinter einem hohen Bretterzaun um das Gelände kann man die Stolleneingänge noch gut erkennen. Vom Felsenkeller geht es noch ein paar Meter bergab, dann wenden wir uns nach rechts, um den Höhenzug auf dem Nordhangweg noch einmal von Westen nach Osten zu durchqueren. Kaum vorstellbar, wenn man hier heute durch den dichten Wald marschiert, dass der gesamte Höhenzug vor 150 Jahren noch völlig unbewaldet war und Schafherden durch das „Miniatur-Arizona“ zogen. In den 1870er Jahren wurde das Gebiet dann kontrolliert mit Kiefern aufgeforstet. Auf dem Weg zu den Felsen kommen wir an einigen Höhlen vorbei, die eventuell in grauer Vorzeit ausgebaut wurden, spätestens aber wohl den Schäfern und Hirten des Mittelalters als Unterschlupf dienten. Im Hochsommer kann man hier eine gekühlte Rast einlegen. Der spannende Weg führt uns schließlich zu den drei recht nah beieinander liegenden Hauptfelsen der Klusberge. Als Ersten erreichen wir den Fünffingerfelsen, dessen Hand nicht aus jedem Blickwinkel zu erkennen ist. Steigt man ein wenig den Hang hinauf, hat man einen guten Blick auf die beiden anderen Felsen. Unser weiterer Weg führt uns erst einmal südlich am imposanten Klusfelsen vorbei auf einen schmalen Waldpfad. Dieser Weg ist in einem kleinen Bereich, auf dem Abstieg zum Molkenmühlenweg, absolut nicht barrierefrei. Wer sich das nicht zumuten will, der kann hier am Klusfelsen die Wende des Tages einleiten. Der Weg ist aber eigentlich ziemlich nett und der Abstieg hat schon etwas von „Dschungelpfad“.

Ein Traum aus Sand
Ist man unbeschadet am Weg zur Molkenmühle angekommen, geht es gleich wieder rechts auf eine lange Gerade, die einst eine Schießbahn des Truppenübungsplatzes war und die letzte Etappe des Tages einleitet, auf der wir den kleinen Höhenzug noch einmal von Osten nach Westen durchqueren. Der Klusfelsen ist Programm und mannigfaltig sind die Informationen zur größten Formation der Klusberge, wobei letztendlich trotzdem gilt: Nichts Genaues weiß man nicht. Vermutet wird eine prähistorische Nutzung, relativ gewiss ist eine mittelalterliche und sicher die gegenwärtige als immer noch spektakuläres Ausflugsziel. Hier am zentralen Ort der Klusberge kann man schon eine Weile umherstreifen und die vielen Ecken und Winkel und Gänge des Felsens erkunden, der durch die „vernünftige und verantwortungsvolle“ Nutzung des modernen Menschen schon so weit gelitten hat, dass Teile abgesperrt werden mussten. Der im Track verzeichnete Weg vom Felsen war irgendwie nicht ersichtlich, das GPS streikte und so nahmen wir den Weg südlich des Felsens zum Abstieg. Der führt auf die lange Gerade zum Ausgangspunkt. Kurz vor dem Verlassen des Waldes der Klusberge steht noch ein Denkmal für die ums Leben gekommenen Besatzungsmitglieder eines in der Nähe abgestürzten Riesenflugzeugs vom Typ Linke-Hoffmann R.1 (R14). Die Flieger der Riesenflugzeug-Abteilung 500 waren am 19.08.1917 vom Halberstädter Flugplatz mit ihrer Maschine gestartet, die 9 Tonnen schwer war und eine Spannweite von über 30 Metern besaß. Danach sind es nur noch ein paar Meter, dann erreichen wir den Parkplatz an den Kleingärten oder die Haltestelle von Bus bzw. Stadtbahn.
Am Ende eines Tages...
Wow! Das war trotz des „Wetterbetrugs“ eine so richtig coole Tour. So viel Natur und Kultur, dass die zehn Kilometer, auch eingedenk der Kletterei auf die Felsen, durchaus genug sind. Das macht auf jeden Fall richtig Bock, ebenso die umliegenden und etwas besser bekannten Gegenden wiederzuentdecken. Die Touren sind auch schon einige Jahre her, so dass sich dort vieles verändert haben wird. Diese Gegend hat es mir seit langen Jahren angetan und ich frage mich, wie sie es geschafft haben kann, immer noch als Geheimtipp gehandelt zu werden. Seit wir Orte wie zum Beispiel das Kloster Michaelstein, die Burg/Festung Regenstein und die Höhlenwohnungen in Langenstein für uns entdeckten, zieht es uns immer wieder magisch hierher und wir entdecken immer wieder etwas Neues. Bleibt am Ende nur zu hoffen, dass der Zeitgeist gnädig mit den schönen Landschaften südlich von Halberstadt umgeht und diese uns allen noch möglichst lange erhalten bleiben…
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