Der Wald im Wandel

Der Wald im Wandel

Lange Jahre ließen wir den zentralen Harz links liegen, nachdem wir es leid waren, viel zu oft nach Wanderkarten auf breiten Forstwegen durch Mono-Fichtenkulturen zu laufen. Durch die Nutzung der OpenStreetMap, auf der auch schmale Wege und Pfade gut zu erkennen sind, war es uns endlich möglich, einige alte Gewohnheiten abzustreifen. An einem eklig nebligen Tag im Jahr 2014 ging es also von Oderbrück in den Nationalpark Harz. Es war eine Initialzündung für eine Neuentdeckung oder Wiederentdeckung unseres Heimatgebirges. Wie sehr hat sich das Bild des Hochharzes verändert und wie viele tolle Wege gibt es hier, die wir zuvor niemals gegangen waren. Mittlerweile sind wir wieder begeisterte Besucher und haben etliche Wege im Harz erkundet. Der Nationalpark mit seinen Kernzonen und das Oberharzer Wasserregal sind nur zwei Beispiele von Gegenden, die urige Natur und alte Kultur aufs Feinste verbinden und die man auf weiten Strecken auf schmalem Pfad erkunden kann. Schon in unserem zweiten Wanderurlaub vor 20 Jahren im Nationalpark Bayerischer Wald, geriet ich mit den beiden alten Waldlern, bei denen wir nächtigten, etwas aneinander mit meiner Begeisterung für den von der Fichte dominierten Wald, der für sie „starb“, sich für mich lediglich wandelte. Auch im Harz wird es wohl noch etliche Menschen geben, die dem Wandel vom Monowald zum Fast-Urwald skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen.

Die von mir auch schon mal als Linieninfanterie-Wälder bezeichneten Monoton-Forste, in denen Bäume in Reih und Glied stehen, durchzogen von mehrere Meter breiten Wegen, die manchmal sogar aus zerkleinertem Bauschutt bestehen, erfreuen sich wohl immer noch großer Beliebtheit. Auf der anderen Seite wird es auch Harz-Urlauber geben, die dem Nationalpark Harz momentan den Rücken kehren, weil der Wald für sie „tot und unansehnlich“ ist. Verstehen kann ich das nicht, muss ich aber auch nicht. Ich liebe diesen Wald im Wandel und ich bin heilfroh, dass ich endlich hautnah miterleben kann, wie der Harz ein (hoffentlich ganzes) Stück weit natürlicher wird und der „Brotbaum“ dort verschwindet, wo er nichts zu suchen hat und sich anderswo natürlich oder zumindest naturnah entwickeln darf. Diese Chance bekommt vielleicht lange Zeit keine Generation von Menschen mehr hierzulande. Das Leben und die Welt sind Chaos. Ein um wie vieles schöneres Chaos erzeugt die Schöpfung als der Mensch, der sich lange, zu lange geweigert hat, die Realität anzuerkennen. Welch ein Unterschied, ob man einen Blick in sich natürlich erneuernde Wälder wirft oder einen in die von Waldterminatoren zerwirtschafteten Wälder, die dazu verdammt sind, für irgendjemanden nur möglichst schnell und effizient möglichst viel Kohle zu generieren.

 

Es falle die Fichte...

Es falle die Fichte, es ruhe das Erz
Der Schöpfer schenke uns allen ein fröhliches Herz
So tönt’s aus den Schluchten des Harzes heraus
von jeglichem Berge, von jeglichem Haus…

Hinauf zum Achtermann

Hinauf zum Achtermann

Also auf in diesen sich wandelnden Wald im Nationalpark Harz. Der Borkenkäfer, dumme Menschen, die Trockenheit, die Stürme – all das und mehr haben (nicht nur) der Fichte hart zugesetzt. Hunderttausende tote Bäume prägen das Bild im Harz, auch rund um den Achtermann, den wir heute besuchen werden. Von Oderbrück aus geht es zuerst auf den Kaiserweg, der auf 110 Kilometer Länge von der Kaiserpfalz Goslar zur Königspfalz Tilleda am Kyffhäuser führt. Der Weg ist hier fantastisch, aber auch nicht für jeden leicht begehbar. Es geht über Stock und Stein wie aus dem Bilderbuch. Etwas „barrierefreier“ ist der parallel verlaufende Loipenweg, der fast ebenso schön durch die Landschaft führt. Beide Wege treffen sich später wieder und vereinen sich zum Kaiserweg. Wir kamen hier anfangs kaum voran, weil wir so maßlos begeistert waren von der Landschaft im Wandel. Die zahllosen toten Fichten, mal mehr, mal weniger noch mit Zweigen besetzt, der dadurch erweiterte Horizont, die nachwachsenden Jungbäume – das ist schon ein Spektakel, wenn man einen Sinn darin erkennen kann, einen Blick dafür übrig hat, sein Herz diesem Schauspiel öffnen kann. Der traumhafte Pfad tut ein Übriges, um diesen Weg zu einem höchst wanderbaren zu machen. Überall wo die dichten Fichtenwälder gestorben sind, erkennt man, dass es hier länger dauern wird, bis die Regeneration einsetzt. Keine jungen Bäume sind weit und breit zu finden im dunklen Tann der dicht nebeneinander in Reih und Glied gepflanzten Forste.

Aber das wird wohl auch dazu führen, dass die neuen Wälder altersmäßig besser strukturiert sein werden. Der Kaiserweg führt uns also aufs Feinste, nahezu jeder Meter ist hier ein Erlebnis, zum Königskrug, der zur Einkehr einlädt. In der Nähe befand sich im Mittelalter mit dem „Neuen Schloss“ eine Turmburg, die sich wohl im Besitz der Grafen von Blankenburg befand und die Grenze der Bistümer Hildesheim und Halberstadt bewachte. Ein paar Tafeln informieren über die bislang unvollständigen Erkenntnisse. Auf dem breiten Milliardenweg, der wohl wegen der Milliarden Schottersteinchen oder wegen der ehemals Milliarden Fichten so heißt, die den Waldbesitzern vielleicht Milliarden brachten oder bringen sollten, geht es durch einen großflächig abgestorbenen Fichtenwald, der sich aber auch schon sichtbar auf dem Weg der Besserung befindet. Sobald wir das Schild erreichen, das uns zum Achtermann leitet und vor herabfallenden Ästen und umfallenden Bäumen warnt, wird es aber schon wieder wesentlich schöner. Für mich der schönste Abschnitt des Tages. Hier auf der Südseite des Achtermanns geht es auf einem traumhaften Stokelpfad durch märchenhaft anmutenden Wandelwald. Alles darf hier dort liegen bleiben, wo es hingehört, lediglich der Weg wird ab und zu freigeschnitten. Das ist diese sagenumwobene Bergwildnis, mit der der Harz in den letzten Jahren um Aufmerksamkeit wirbt. Hier ist der Aufstieg nicht Mühsal, sondern Belohnung. Bei unserem Besuch wurden wir zusätzlich auch noch mit dem zahlreich am Achtermann blühenden Siebenstern belohnt.

 

Die Harzer Moore

Die Harzer Moore

Über 2.000 Hektar des Harzes sind vermoort und ungefähr ein Viertel davon besteht aus selten gewordenen Hoch- und Niedermooren. Dass sie zu den am besten erhaltenen unserer Heimat gehören, verdanken sie wohl auch dem Umstand, dass ihr Abbau sich nicht lohnte, da ihre hohe Feuchtigkeit eine Trocknung zu mühselig erscheinen ließ. Durch diesen glücklichen Umstand zählen die Harzer Moore heute zu den besterhaltenen in Deutschland. In dem extrem nährstoffarmen, sauren Milieu des Moores können im Harz neben den 25 Moosarten nur wenige, speziell an die Bedingungen angepasste Pflanzen überleben, unter anderem der fleischfressende Rundblättrige Sonnentau, die Zwergbirke, das Scheidige Wollgras oder die Moosbeere. Das Bodebruch, in dem die Große Bode entspringt, bedeckt ungefähr eine Fläche von einem Quadratkilometer und ist mit einem Alter von ungefähr 4.000 Jahren ein noch relativ junges Moor. Sein sich seit dem Rückgang der Eiszeit bildender Moorkörper hat eine mittlere Stärke von etwa 3 Metern. Am besten überblicken kann man das Moor von der Aussichtsplattform am Südende, die sich über einen Bohlenweg erreichen lässt.

Es sind nur ein paar hundert Meter, verbunden mit einigen Höhenmetern, die uns schließlich durch die Felsformation des Achtermanns Tor zum Gipfel der Achtermannshöhe führen. Aber was für ein herrlicher Weg. Am Fuße des Gipfels angekommen, geht es noch einmal einige Höhenmeter weiter hinauf auf die verwitterte Kuppe des mit 925 Meter dritthöchsten Berges Niedersachsens. Eine herrliche Rundumsicht bietet sich von hier oben und an dem heißen Tag unseres Besuches wehte auch noch ein erfrischendes und die vom Aufstieg feuchten Klamotten trocknendes Lüftchen. Kaum angekommen gab es für uns noch ein Schmankerl, das man nicht alle Tage geboten bekommt. Ein Schwalbenschwanz war zum „Hilltopping“ erschienen und tanzte die ganze Pause für uns bzw. wohl eher für einen potenziell vorhandenen Geschlechtspartner. Da war es schwierig, sich auf die herrlich sichtbare Umgebung zu konzentrieren. Von hier oben hat man einen vollständigen Rundumblick und kann mit Leichtigkeit diverse Landmarken wie den Brocken, den Wurmberg, den Hohnekamm, die Bruchlandschaften von Oder und Bode oder das Torfhaus im Meer der abgestorbenen Bäume ausmachen. Von hier oben sieht das schon etwas gruselig aus, aber aus näherer Betrachtung wissen wir ja bereits, dass der Wald (noch) das genaue Gegenteil von tot ist. Irgendwann müssen wir uns ja wieder losreißen vom Achtermann, um weiterzugehen. Am nicht ganz so windigen Fuß des Gipfels gibt es auch eine Schutzhütte, Infotafeln und Bänke. Auch wenn der schöne Pfad nach Oderbrück reizt, geht es nach rechts hinab ins Tal der Großen Bode. Durch die Überreste der Fichten hat man immer wieder Ausblicke zum Brocken und zum Wurmberg.

Zwischen Rotem Bruch und Schwarzem Sumpf

Zwischen Rotem Bruch und Schwarzem Sumpf

An einer Kreuzung mit Rastplatz erreichen wir das Tal und wandern zwischen dem Schwarzen Sumpf und dem Roten Bruch immer am bernsteinfarbenen Harzflüsschen. Die Kleine und die Große Bode entspringen hier im Bereich von Achtermann und Brockenfeld, vereinen sich nördlich von Braunlage zur Warmen Bode, die sich dann bei Königshütte mit der Kalten Bode zur Bode vereint. Kein schmaler Pfad mehr, aber ein angenehmer Weg, der den Blick in die schöne Bruchlandschaft erleichtert. Hier ist der Totholzbestand teilweise nicht mehr so hoch und an manchen Stellen kann man nur noch einige liegende Bäume und Baumreste durch den nachwachsenden Jungfichtenbestand erkennen. Auf jeden Fall wird es nicht langweilig auf dem Weg zum Bodebruch, aus dem die Große Bode entspringt. Am Wander-Wegweiser zweigt der kleine Weg ab, der uns zur Aussichtsplattform führt. Von der Plattform aus hat man einen guten Blick über die karge Moorlandschaft. Über einen famosen Bohlenweg geht es zurück auf den Wanderweg, der uns jetzt auf eine Loipe führt. Hier ist der Weg relativ breit. Wir als Wintersport-Verweigerer hoffen natürlich ein wenig, das sich das erwärmende Klima dahingehend auswirkt, das Loipen aufgegeben werden und sich dann zum Beispiel dieser Weg zu einem schmalen Wurzelpfad zurückbildet. Nach einigen hundert Metern geht es auf einen wieder mehr ausgebauten Weg, der uns an einem Bach und auf den letzten Metern an der Oder entlang zurück nach Oderbrück führt.

Am Ende eines Tages...

Wieder keine sehr lange Wanderung, aber das ist auch nicht vonnöten, vor allem bei schon deutlich sommerlichen Temperaturen. Die Dichte an Erlebnissen für den Wanderer, der sich mit dem Wandel des Waldes anfreunden und an seinem Anblick erfreuen kann, ist auf dieser Tour immens. Das kann man wirklich als sagenumwobene Bergwildnis bezeichnen. Wir werden dem Zentralharz auf jeden Fall immer wieder einen Besuch abstatten und uns von der (hoffentlich) fantastischen Entwicklung des Waldes gefangen nehmen lassen. Auch wenn jetzt mit dem Auto wieder ungeahnte Möglichkeiten offenstehen, wird der einmalige Harz mit seinen unvergleichlich abwechslungsreichen Landschaften wohl wieder eines unserer liebsten „Jagdreviere“ sein. Es mag nach Prahlerei klingen und wir haben beileibe nicht einmal alle Gebirge unserer Heimat kennengelernt, aber der Harz ist und bleibt in seiner Verbindung von Natur und Kultur wohl unbestritten eines der interessantesten Fleckchen Erde in Deutschland. Harzlich willkommen.

Letzte Beiträge aus dem Landkreis